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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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eifrigen Lesen hatte Marie nicht bemerkt, daß der Arzt eingetreten war, und schon seit einigen Minuten an der Tür stand und zuhörte, ohne von ihr oder der Kranken gesehen werden zu können. Er näherte sich jetzt, indem er, um Marien eine leichte Verwirrung zu ersparen, den Schein annahm, als sei er soeben gekommen. Der schon alternde Mann bot einen freundlichen guten Morgen, und trat dann zu der Kranken, deren Puls er faßte, und sie aufmerksam betrachtete. »Hm, noch immer ein wenig unruhig,« sprach er; »wir müssen noch mit besänftigenden Mitteln fortfahren.«
    Nachdem er einige Fragen über die Kranke getan, nahm er Papier und Feder und schrieb ein Rezept auf, dessen eilige Bereitung er empfahl; dann schickte er sich an, zu gehen. Marie begleitete ihn unter dem Schein der höflichen Formen, in der Tat aber, um von ihm die Wahrheit über den Zustand der Mutter zu erfahren, da sie selbst die härteste Gewißheit mit größerer Fassung und Standhaftigkeit zu tragen sicher war als jenen Zustand der unbestimmten Angst, die zu der wirklichen Gefahr tausend neue schafft. Mit bittendem Ton, aber doch mit entschiedener Gemütsruhe, sprach sie daher im Vorzimmer zu ihm: »Sagen Sie mir die Wahrheit, die volle, reine Wahrheit. Halten Sie mich nicht für ein schwaches weibliches Geschöpf, das in müßige, verschlimmernde Klagen ausbrechen oder gar in ohnmächtiger Mutlosigkeit hinsinken wird, wenn die Gefahr drohend ist; aber gönnen Sie auch einer bangen Tochter den Trost der Hoffnung, den Ihr Ausspruch ihr gewähren kann. Sagen Sie mir die strenge Wahrheit, darum bitte ich Sie noch einmal so dringend, als nur je ein Wunsch es vermag!«
    »Mein gutes Kind,« entgegnete der Arzt freundlich, aber weich, »Sie tun am besten sich an die schönen Worte des Trostes zu halten, die ich Sie bei meinem Eintritt lesen hörte. Ich habe wenig Hoffnung! Kehrt der Blutsturz wieder, so ist es vorbei. Bis Mittag wird sich das, denke ich, entscheiden!«
    So gefaßt Marie war, so fest ihr Entschluß gewesen, jede weiche Regung stark zu überwinden, dies rauhe Todesurteil raubte ihr doch einen Augenblick die Kraft. Sie brach in bitterliche, stille Tränen aus und mußte sich erschöpft an die Schulter des Arztes lehnen, der ihr mit sanften Worten Mut zusprach. Nach einigen Minuten richtete sie sich wieder auf. »Es ist nun überwunden,« sprach sie matt; »ich fühle, daß ich die Stärke habe, um am Lager der Mutter mit Fassung auszudauern. Ich danke Ihnen, daß Sie mir nichts verborgen haben. Ich nehme nun das Härteste für gewiß an, ich ergebe mich in den Verlust des Teuersten, des Einzigen, was ich jetzt auf dieser Erde besitze!«
    »Denken Sie an das Auge, das die Tränen des Ihrigen zählt, an das Herz, das mit dem Ihren schlägt, an die Hand, die Sie führen wird auf einsamem Wege des Lebens,« sprach der Arzt; »das wird Ihnen Mut und Stärke in der letzten Stunde geben. Leben Sie jetzt wohl! In einigen Stunden sehen Sie mich wieder. Fällt indessen das mindeste vor, so senden Sie zu mir und ich werde auf das schleunigste hier sein.« Mit diesen Worten nahm er Mariens Hand, drückte sie mit freundschaftlicher Wärme, und verließ dann schnell das Gemach, da die Rührung ihn selbst zu überwältigen drohte.
    Marie aber warf sich fromm auf die Knie nieder und betete aus inbrünstigem Herzen zu Gott, daß er ihr Kraft verleihen möge in der Stunde der Prüfung. Noch einmal vergoß sie sanfte erleichternde Tränen, dann durchdrang das freudige Gefühl der kräftigen Entschließung ihre Seele, und sie kehrte mit erleichterter Brust zu der Mutter zurück.

Siebentes Kapitel.
    St.-Luces und Beaucaire waren, als sie in ihre Wohnung heimkehrten, zu ermüdet, um über die Begegnisse des Tages noch ausführlich zu sprechen; am Morgen jedoch, als der Diener Beaucaire den Kaffee brachte, war es sein erster Gedanke, die Entdeckung, welche er gestern gemacht, und die mancherlei Pläne, welche er sogleich entworfen hatte, weiter zu verfolgen. Er ging daher zu St.-Luces hinüber, den er schon am Schreibtische sitzend fand, begrüßte ihn und begann folgendermaßen: »Ich glaube, wir haben gestern glückliche Jagd gemacht, wenigstens sind wir auf der Fährte eines edeln Wildes, welches uns tausend Napoleondor Schießgeld eintragen könnte.«
    »Freilich, freilich,« entgegnete St.-Luces lächelnd, »aber es ist nur die Frage, wie wir es vor den Schuß bringen. Ich bin soeben schon damit beschäftigt, Schritte in der Sache zu tun, nämlich nach

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