1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
sprach er, »einen stolzen Ton an, der Ihnen, wie mich dünkt, nicht wohl geziemt. Wissen Sie denn, daß das Schicksal Ihres Bruders in meiner Hand steht, daß ich allein es vermag, ihn zu retten und zu verderben. Ich kenne seinen Aufenthalt; er hat ihn schlau genug da gewählt, wo man ihn am wenigsten suchen durfte, bei dem Heere.« Marie stand sprachlos da; der Schrecken hatte ihr den Atem genommen. »Sie dürften also,« setzte Beaucaire mit ironischer Betonung hinzu, »wohl noch etwas mehr tun, als ich Ihnen bis jetzt zugemutet habe, falls es Ihnen auf den Beistand eines Mannes ankommt, auf dessen Lippen das Leben Ihres Bruders schwebt. Doch, ist Ihnen unwohl geworden?«
Marie war genötigt gewesen, sich erschöpft gegen den Stamm der Linde zu lehnen. Beaucaire führte sie, indem er sie mit unzarter Dreistigkeit fast umschlang, an eine wenige Schritte entfernte Gartenbank.
»Sagen Sie mir,« sprach Marie mit Anstrengung, »was ich für meinen Bruder tun kann. Ich werde das Schwerste nicht scheuen, ich darf es nicht; der volle Dank einer liebenden Schwester ist Ihnen gewiß, wenn Sie mir großmütig die Wege der Rettung zeigen.« – »Vor allen Dingen geben Sie mir,« fiel Beaucaire rasch ein, »genau an, wie ich Ihrem Bruder Papiere von Wichtigkeit aufs sicherste zustellen kann, denn er muß schleunig benachrichtigt und mit Mitteln zur Flucht versehen werden, weil seine Entdeckung an Tagen, vielleicht an Stunden hängt.«
Marie hatte wieder so viel Besonnenheit gewonnen, daß sie sich durch die hinterlistige Frage Beaucaires nicht überraschen ließ. »Was Sie meinem Bruder senden wollen, übergeben Sie mir,« sprach sie rasch; »ich befördere es sicher zu ihm. Einen andern Weg kann ich Ihnen nicht angeben.«
Beaucaire biß die Zähne vor Verdruß über diese Antwort zusammen; Marie hatte sie kaum gegeben, als sie selbst über den glücklichen Ausweg erstaunte, den sie wie durch eine höhere Eingebung gefunden hatte. Freilich aber waren in dem kurzen Zeitraume von wenigen Sekunden ihrer Seele eine Reihe von Gedanken und Verknüpfungen der Umstände vorübergezogen, die sie notwendig mit dem äußersten Verdacht gegen Beaucaire erfüllen mußten. Der Vorfall mit dem Postbeamten ließ ihr jetzt fast keinen Zweifel mehr, daß das Briefgeheimnis auch in bezug auf sie verletzt sein müsse; sie rief sich dabei mit möglichster Genauigkeit den Inhalt von Ludwigs letztem Briefe zurück, um zu erwägen, ob etwas darin enthalten sei, was seinen Aufenthalt, seinen Namen und seine sonstigen Verhältnisse näher bezeichnete. Mit leicht aufatmender Brust gewann sie die Überzeugung, daß durch den Brief nichts verraten sein konnte als sein Aufenthalt bei dem Heere. Mit jenem Scharfblick, jenen erhöhten Seelenkräften überhaupt, die der Himmel im Augenblicke der Bedrängnis unschuldigen Seelen verleiht, entdeckte die sonst so Arglose jetzt das Gewebe der Bosheit, mit dem man sie umgarnen wollte, ohne jedoch die schwärzesten Tiefen des Abgrundes zu ahnen, in den Beaucaire sie hinabreißen wollte.
»Sie scheinen mir,« sprach er endlich mit empfindlichem Tone, »nicht zu trauen, obgleich ich Ihnen durch unsere Zusammenkunft doch wohl einige Beweise meines guten Willens, Ihnen hilfreich zu sein, gegeben habe. Bedenken Sie jedoch, daß auch ich Ursache habe, vorsichtig zu sein; in meiner Stellung sollte ich durchaus rücksichtslos verfahren, den Weg des strengen Gesetzes gehen. Wage ich aus Mitleid eine Umgehung, so muß ich volle Gewißheit haben, daß mich keine Verantwortlichkeit deshalb treffen kann. Auf so gefährlichen Pfaden kann man aber nur sich selbst vertrauen.« – »Wie?« rief Marie lebhaft, »fürchten Sie von der Schwester, der Sie den Bruder retten, verraten zu werden?«
»Nicht absichtlich; doch Unvorsichtigkeit, Mangel an Einsicht, an Kenntnis der Verhältnisse –«
»Dies alles ist hier unmöglich,« fiel Marie ein; »denn der Weg, den ich einzuschlagen habe, ist zu einfach, als daß ich ihn verfehlen könnte.« – »Sie mißtrauen mir also?« sprach Beaucaire ergrimmt. Marie erbebte; es war nicht ihre Absicht, ihn zu reizen. Sie entgegnete daher mit sanftem Tone der Stimme: »Ich habe ein fremdes Geheimnis zu bewahren; Sie werden gewiß nicht fordern, daß ich es verletze. Aus der Treue, mit der ich dieser ältern Pflicht obliege, mögen Sie die Überzeugung schöpfen, daß ich um so vorsichtiger und gewissenhafter gegen Sie handeln werde, da Sie mir eine Wohltat erzeigen wollen, welche meine
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