1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
ordnen. Man lauschte, ob sich ein neues Geräusch vernehmen lasse; aber alles blieb still, nur daß man in der Ferne nach den Vorposten zu einige Leute lebhaft sprechen hörte. Boleslaw, der die Feldwache befehligte, sandte den Unteroffizier Petrowski mit einer Patrouille ab, der Bericht über das Vorgefallene abstatten sollte. Dieser kam nach wenigen Minuten zurück und führte, gewissermaßen als Gefangene, einen jungen Mann und ein junges Frauenzimmer, der Tracht nach eine Russin, ins Lager. Das Mädchen schloß sich ängstlich an ihren Begleiter an; sie ging zitternd und suchte den Blicken der neugierig herantretenden Soldaten beschämt auszuweichen. »Der Tausend, ein artiges Kind!« rief Bernhard gegen Ludwig gewandt, indem sie vorübergeführt wurden und der Widerschein des Wachtfeuers die Gruppe beleuchtete; doch kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der gefangene junge Mann stillstand und ihn anredete: »O, mein Herr, Sie sind ein Deutscher, helfen Sie einem Landsmann, der in großer Verlegenheit ist, weil er nur deutsch und russisch spricht, welches diese Polen nicht verstehen oder nicht verstehen wollen.«
»Gern,« erwiderte Bernhard, »ich werde euch begleiten.« – Indessen war auch Boleslaw herangetreten und fragte den Unteroffizier, wer die Leute seien, was sie wollten. »Sie sind,« sprach der Graubart Petrowski, »soeben mit einer Kibitke angehalten worden. Da wir sie anriefen, gaben sie keine Antwort, sondern wollten rasch umwenden; als aber die Schildwache das Pistol abschoß, hielten sie still. Es sind wahrscheinlich Spione.« – Bernhard mischte sich ein und bat Boleslaw um Erlaubnis, die Leute deutsch zu befragen. »Woher kommt ihr?« redete er sie an, »wie ist euer Name? was ist euer Reisezweck?«
»O, mein Herr,« erwiderte der Gefangene, »kein anderer, als in Frieden nach Deutschland zu ziehen, woher ich gebürtig bin. Ich heiße Paul, und dies ist meine junge Frau, Axinia, eine Russin. Ich war bisher als Gärtner in Diensten bei dem Grafen Dolgorow; allein da der Krieg alles zerstört, hat er mich entlassen, damit ich in meine Heimat ziehen könnte.« – »Habt ihr Papiere, guter Freund, welche diese Aussage bekräftigen?« fragte Bernhard weiter. – »O, die allerbesten, mein Herr«, entgegnete Paul und zog eine Brieftasche hervor, aus welcher er seinen Taufschein, sein Dienstzeugnis und einen in Smolensk ausgestellten russischen Paß nahm und Bernhard dieses darreichte.
»Die Papiere mögen ganz in der Ordnung sein, mein Freund,« entgegnete dieser; »allein russische Pässe, begreift ihr wohl, haben keine Gültigkeit durch das französische Lager. So leid mir es auch tut, wird man euch doch zurückweisen müssen.«
»O, mein Himmel, dann bin ich verloren,« rief Paul aus, »denn nur durch ein Wunder ist es mir gelungen, mit meinen wenigen Habseligkeiten bisher den Schwärmen umherstreifender Kosaken zu entrinnen. Ich bitte euch, bester Herr, wenn ihr es irgend vermögt, helft uns durch, denn wir sind wahrlich ehrliche Leute und begehren nichts, als ungestört reisen zu können.«
»Warum habt ihr nicht die gerade Straße nach Witebsk genommen? Und weshalb wählt ihr die Nacht zur Reise? Das macht sogleich verdächtig.«
»Nur um den Kosaken zu entgehen; und überdies sagte man uns, wir würden hier am Flügel der Armee vorbeikommen und dann ohne weitere Hindernisse Boiszikowo und so die gerade Straße nach Wilna erreichen.«
»Je nun, Marodeurs würdet ihr dort auch noch genug antreffen«, warf Bernhard hin und sann nach, wie er den Leuten aushelfen könnte. »Sie scheinen mir durchaus ehrlich und unschuldig,« sprach er zu Boleslaw; »allein wenn du sie auch ziehen ließest, so kann ihnen das nicht viel helfen, weil man sie anderwärts überall anhalten wird. Zumal ist diese junge Frau eine Ware, für die ich die Assekuranz nicht übernehmen möchte auf dem verwüsteten Wege von hier nach Wilna, wo sich noch immer Nachzügler umhertreiben, und die Juden und Bauern rauben, was diese übriglassen.«
»Was gibt's hier?« fragte plötzlich eine Stimme. Es war Rasinski, der mit übergeworfenem Mantel, eine Feldmütze tief ins Gesicht gedrückt, unvermutet unter die Sprechenden trat. Bernhard berichtete den Fall. »Bei wem standet ihr in Diensten?« richtete Rasinski seine Frage an Paul. – »Beim Grafen Dolgorow«, antwortete dieser. – »Eure Papiere.« Paul zeigte sie. Rasinski durchlief sie mit schnellem Blick. »Es ist, wie ihr angebt; das ist die Unterschrift des
Weitere Kostenlose Bücher