1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Godunow verlor den Thron durch die Tapferkeit unserer Väter. Das waren Polens glänzende Tage! Aber sie kehren wieder! Wie ein Phönix aus der Asche wird der weiße Adler sich aus dem rauchenden Schutt erheben, unter dem unser Vaterland begraben liegt, seit Verrat und überfallende Gewalt den Feuerbrand in unsere Städte und Gefilde trugen. Denn in der Tiefe glühten die Brände fort; in der Brust jedes polnischen Sohnes lodert noch die mächtige Flamme des alten Heldenmutes, der alten Vaterlandsliebe. Der Tag der Vergeltung, der Sühne, der Gerechtigkeit ist da! Die Weltgeschichte hat den großen Mann geboren, der ihn herausführt. Seinen Bannern folgend, stürmen wir zum Siege über unsere Feinde! Auf denn, leert ihm diesen Becher. Es lebe der Kaiser, es lebe Polen, es lebe die Freiheit! «
Wie wenn der Sturmwind prasselnde Flammen aufjagt, drangen die begeisterten Worte Rasinskis in das Herz der von Vaterlandsliebe und Tatendurst glühenden Genossen ein. Zu Bildsäulen erstarrt hatten sie jedem Worte seiner Lippen gelauscht; nur das funkelnde Auge verriet das Leben in ihrer Brust. Jetzt sprangen sie auf. Unter Tränen und Jauchzen wiederholten sie den Ruf: » Es lebe der Kaiser, Polen, die Freiheit !« und stürzten den Wein hinab. Mit tausendfachem Echo brauste der Jubel weiter, denn der Kreis hatte sich durch die rings herandringende Masse der Krieger bis ins Unübersehbare vermehrt. Als Rasinski seinen Becher geleert hatte, warf er ihn hoch empor; dann breitete er die Arme aus und schloß den nächsten Kameraden an die Brust. Die Freunde umringten ihn, warfen sich ihm zu Füßen, ergriffen seine Hände, bedeckten sie mit Küssen und Tränen. Ein begeisternder Wahnsinn stürmte in der aufgeregten Brust; laut weinend hielten Jünglinge und Männer einander in den Armen. Tiefster Schmerz und namenloses Entzücken loderten zugleich mit hohen Flammen in der Seele auf; ringsumher in jedes Herz hätte der Blitz mächtig zündend eingeschlagen. Greise wurden zu Jünglingen, und über die rosige Wange Jaromirs wie in den grauen Bart des alten Petrowski rollten gleich helle Tränen. Lange dauerte es, bis die heftig überwallende Flut wieder in das ruhigere Bett zurückkehrte. Dann erfüllte ein milder, sanfter Ernst die Gemüter. Traulich blieb man an der Flamme gelagert und überließ sich dem süßen Gefühl herzlicher, brüderlicher Gemeinschaft. Nach und nach brannten die Flammen der Lagerfeuer düsterer; die ermüdete Natur sank nach der doppelten Anspannung in doppelte Ermattung. Ringsum löste der Schlaf die Glieder. Jaromir lehnte sich mit seinem blühenden Lockenhaupt an Bernhards Schulter, der ihn freudig ertrug und dann endlich müde mit ihm zurücksank auf den Rasen. Ludwig blieb noch lange wach. Alles war tief still umher; die Holzscheite brachen zusammen; die Flamme erstarb, der Nachthimmel wölbte sich dunkel über das Lager. Durch den in langsamen Wirbeln wolkig aufsteigenden, vom Widerschein geröteten Dampf schimmerten die Gestirne. Ein ernstes, düsteres Bild!
Und düster wurde es in Ludwigs Seele. Das hoffnungslos trauernde Vaterland, die fernen Geliebten, das teuere Bild eines unbekannten, ewig verschwundenen Wesens, von dem sein ganzes Herz sich noch immer erfüllte – das waren die schmerzlichen Gestalten, die sich ihm auf dem finstern Hintergrunde der Nacht abzeichneten. Eine tiefe, unaussprechliche Angst erfüllte ihm die Brust; es war ihm plötzlich, als könne er dem Schmerze nicht länger Widerstand leisten, müsse überwältigt erliegen. Mit aller Kraft innerlicher Fassung mußte er sich waffnen, um nicht weich zusammenzusinken unter der Last, die auf seinem Herzen lag. Sein Blick fiel auf Bernhard, der, vom matten Glanz des Feuers bestrahlt, neben ihm schlummerte. Als er in das treue, edle Angesicht blickte, wo die trotzige Kraft sich mit wohlwollender Milde innig paarte, wo die Liebe ihn aus so brüderlich herzlichen Zügen ansprach, da kehrte ihm der Trost in die verödete Brust zurück, und er dachte: Nein, der darf sich nicht ganz unglücklich nennen, der an der Seite eines solchen Freundes entschlummert! Und beruhigter senkte auch er sein Haupt nahe gegen die Brust des Freundes hinab, hüllte sich in den Mantel und entschlief.
Drittes Kapitel.
»Das find die Türme von Smolensk«, rief Rasinski, als er an der Spitze seines Regiments die waldige Anhöhe erreicht hatte, von der aus man die alte Feste kaum eine Stunde weit entfernt liegen sah. »Wir werden uns jetzt am Saume dieser
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