1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
an. »Untersucht ihn sogleich auf das strengste, ob er Papiere oder sonst etwas bei sich hat.« Ein Offizier und zwei Soldaten bemächtigten sich auf einen Wink Rasinskis sogleich des Alten, schleppten ihn an das nächste Feuer und hießen ihn, sich sofort von Kopf bis zu Fuß entkleiden. In wenigen Augenblicken war es geschehen. Man durchsuchte den Talar, die Beinkleider, die Leibbinde, die Strümpfe und Schuhe, ohne etwas zu finden, selbst ein Schnitt durch die Schuhsohlen führte zu keiner Entdeckung. Isaak stand indessen zitternd im bloßen Hemde und folgte mit ängstlichen Blicken den Bewegungen der Soldaten. Seine Züge erheiterten und beruhigten sich, je nachdem ein Stück seiner Kleidung nach dem andern als unverdächtig befunden und auf die Seite gelegt war. »So wahr Gott Jehova über mir lebt,« rief er aus, »ich bin ein unschuldiger alter Mann. Gebt mir, ich bitte euch, das Meinige zurück und meine Kleidungsstücke, und laßt mich heimkehren in meine Hütte!«
»Da, ziehe den Plunder wieder an«, rief ein Unteroffizier und warf ihm die Beinkleider zu. Isaak fing sie mit den Händen auf; aber in demselben Augenblicke stellte ihm der Kriegsmann auch seinen zusammengeknäulten Talar auf dieselbe Weise zu. Da der Jude eben nach dem ersten Kleidungsstücke gegriffen hatte, fiel ihm das zweite, ehe er es abwehren konnte, über den Kopf, so daß er sich im ersten Augenblicke darin verwickelte. Dies gab den übermütigen Soldaten Anlaß, ihn zu necken, indem sie ihm das weite Gewand über den Kopf hin und her zerrten, so daß er ganz darin verwickelt wurde und wie betäubt, jedoch heftig schreiend und abwehrend, hin und her taumelte.
Eben wollte Rasinski diesem Spiele des Übermuts Einhalt tun, als der Jude, stark von einem Soldaten gezerrt, stolperte und auf den Boden nieder- fiel, so daß der Talar in den Händen des Kriegers blieb. Doch mit dem Gewände zugleich war dem Gefallenen, zu seinem äußersten Schrecken, auch die falsche Atzel, die er trug, entrissen worden und er lag barhaupt da. Niemand dachte im ersten Augenblicke etwas Arges, sondern die Soldaten lachten über das neue Unglück, das dem Juden begegnete, als Bernhards scharfes Auge auf dem Boden ein Papier entdeckte, das der Jude zwischen Schädel und Perücke verborgen gehabt und soeben verloren haben mußte. Er wollte danach greifen; doch Isaak, der sich nichts Gutes bewußt war, hatte selbst nichts Eiligeres zu tun als es aufzuraffen und in die Flammen des dicht neben ihm lodernden hohen Wachtfeuers zu schleudern, so daß es im Augenblicke zu Asche verbrannte. Dieser Umstand gab Veranlassung zu einer neuen Untersuchung. Der Jude leugnete alles ab; er schwur bei dem Gott seiner Väter, er wisse von keinem Briefe und habe nichts in die Flammen geworfen, sondern nur sein weißes Tuch vom Boden aufgerafft. Doch Rasinski ließ ihm sofort den Schädel genauer be- sichtigen, und man entdeckte, daß das Haar desselben frisch abgeschoren war, Isaak also eine Perücke gar nicht nötig gehabt hätte. Mit Gewandtheit ent- gegnete er aber zu seiner Verteidigung: »Gott der Gnade! was ich getan habe, um euch dienen zu können, das soll jetzt mein Verderben bei euch werden? Als ich mich anbot aus Hunger und Not, das gefährliche Gewerbe für euch zu treiben, mußte ich da nicht darauf denken, wie ich euch nützlich werden könnte, ohne euch zu verraten? Wußte ich, was ihr mir für Aufträge geben würdet? Habe ich nicht immer gehört, daß man Briefe, Verzeichnisse und andere Papiere geschickt fortschaffen müßte? Darum habe ich – jetzt trifft mich die Strafe dafür – das heilige Gesetz gebrochen und ein Schermesser an mein Haupt gebracht! Ist es aber an euch Christen, mich deshalb zu richten, weil ich gesündigt habe, um euch zu dienen? Sprecht, nehmt aber euern Gott zum Zeugen, Herr Oberst, wenn ihr mir hättet geheißen: Isaak, hier ist ein Brief, geh hin, schaffe ihn zum feindlichen General, doch laß ihn nicht fallen in fremde Hände! würdet ihr euch dann darum gekümmert haben, wie es der alte Isaak angefangen hätte, um den Auftrag auszuführen? Hätten sie mich ertappt und aufgeknüpft, würdet ihr nicht gerufen haben: Es geschieht ihm recht; warum ist er nicht gewesen vorsichtig und schlau, als ein Kundschafter soll? Habe ich euch gefragt um die Mittel? Ist es meine Schuld, daß ihr mir keinen andern als mündlichen Auftrag gegeben habt?« In diesem Tone fuhr der Jude, von Todesangst gefoltert, mit unaufhaltsamem Strom der Rede fort, und
Weitere Kostenlose Bücher