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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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den Augenblick, sich mit dem Gegner zu messen, nicht erwarten könnte.
    Als man den Fluß erreicht hatte, lag Smolensk auf seinen beiden steilen Hügeln diesseit und jenseit des Dnjepr, dicht vor den Angreifenden, ja fast über ihnen. Schon hörte man Kanonendonner und Kleingewehrfeuer. Wirbelnder Staub und Rauch verhüllte das Tal und den Fluß; nur die Zinnen der alten Stadtmauer und die hohen Türme ragten über das Gewölk hervor. Die Reiter folgten ihrem Führer, ohne zu wissen, ob sie Feind oder Freund vor sich hätten, denn in dem dichten Staube, den der Wind ihnen noch dazu entgegentrieb, war nichts zu erkennen. Plötzlich sprengte Rasinski ihnen wieder entgegen, »Halt!« war sein Kommandowort. Das Regiment stand wie angewurzelt; die Reiter, durch den raschen Ritt auf beschwerlichem Boden zum Teil aus ihren Reihen gedrängt, ordneten sich in der Stille wieder. »Erste Schwadron links schwenkt! Regiment marsch!«
    Langsam führte Rasinski die Seinigen an der Talwand wieder hinauf und oben über das hügelige Feld zurück gegen eine mit Wald bedeckte Anhöhe, z die außerhalb des Bereichs der Festung lag. »Es war zu spät«, äußerte er im Zurückreiten. »Der König von Neapel wollte die Stadt auf dieser Seite mit der Kavallerie, der Marschall Ney jenseit mit der Infanterie im Überfall zu ! nehmen suchen. Doch die Russen sind zu fest verschanzt und haben zuviel Artillerie. In einer halben Stunde muß überdies die Hauptarmee heran sein, und dann wäre es eine Raserei, gerade hier den Kampf zu beginnen. Doch läßt sich noch hoffen, daß man uns morgen durch eine Schlacht die Festung streitig zu machen sucht; denn hier gilt es freilich, die Hauptpforte zu verteidigen, die nach Rußland führt.«
    Das Regiment bezog das Biwak. Gegen Abend sprengte ein Adjutant des Generalstabs ins Lager und fragte nach Rasinski. Er wurde zum Kaiser befohlen, bei dem sich nebst den Marschällen alle der Gegend und Landessprache kundigen Offiziere versammelten, weil der Kaiser in betreff des Angriffs, den er auf die Stadt machen wollte, genauere Auskunft von ihnen begehrte. Um etwaige Befehle schnell absenden zu können, ließ sich Rasinski von Bernhard und Ludwig begleiten. Sie hatten Mühe, das Zelt des Kaisers zu erreichen, weil die nahe gegen die Stadt vorgerückten Truppen sämtlich auf Befehl Napoleons ihre Biwaks weit zurückverlegten. »Was bedeutet das Manöver?« fragte Rasinski einen Adjutanten, der mit ihm einen gleichen Weg nahm.
    »Der Kaiser will dem Feinde ein Schlachtfeld freilassen; er hofft, daß morgen die russischen Linien endlich geordnet vor uns stehen und den Kampf annehmen sollen.« – »Und unsere Stellung?« fragte Rasinski weiter. – »Dort auf jenem ganzen Amphitheater von Hügeln, welches sich im Halbkreise um die Stadt zieht. Es sind freilich nur Schluchten und Defilees, an die wir uns lehnen; bei einem Rückzüge eine bedenkliche Stellung!« – »Das Wort Rückzug hat der Kaiser aus seinem Wörterbuche gestrichen,« entgegnete Rasinski; »für jeden andern Feldherrn wäre der Fehler groß. Er aber hat die Gewißheit des Sieges; bisher fehlte ihm nichts dazu als der Feind. Wollte der Himmel, daß er morgen endlich standhielte.«
    »Hm! Ich glaube kaum. Wozu soll er sich vor der Festung schlagen, wenn er es hinter derselben kann?« – »Bagration hat, wie man vernimmt, die größte Lust zur Schlacht.« – »Barclay desto weniger.«
    »Er ist nicht beliebt; der Russe haßt ihn; nur der Kaiser ist seine Stütze. In seinem eigentlichen Vaterlande angegriffen, muß es die Ehre des Russen auf das tiefste kränken, daß er, ohne Widerstand zu leisten, weichen soll. Barclay wird schlagen müssen, weil ihm sonst die Armee nicht mehr gehorcht. In gewisser Hinsicht steht der Feldherr trotz seiner unbeschränkten Macht doch unter dem Befehl des Heeres. Und das Schwerste von allem ist, den kampflustigen Soldaten von der Schlacht abzuhalten; zugleich auch das Gefährlichste, denn er zeigt nachher gerade im entscheidenden Augenblick Unlust, wenn man seiner Tapferkeit zuvor gewaltsame Fesseln angelegt hat. Ein Feldherr muß nicht nur das Terrain, er muß auch den innersten Menschen zu beurteilen wissen; verrechnet er sich da, so wird er mit aller Taktik nicht weit reichen.« –
    »Hoffen Sie Gutes von der Schlacht?« fragte nach einer kurzen Pause der Offizier.
    »Ohne Zweifel den vollständigsten Sieg, doch wird er Blut kosten.«
    »Gewiß, viel. Schon bei dem heutigen Angriff auf die Festung haben wir

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