1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
entlang, jedoch so weit von dem Ufer desselben entfernt, daß man ihn von jenseit nicht entdecken konnte. Nachdem man eine Stunde geritten war, wurde diese Vorsicht unnötig, denn es war völlig dunkel geworden. »Jeder beobachte die tiefste Stille! Keiner darf rauchen oder Feuer schlagen!« lautete der Befehl, den Rasinski von Glied zu Glied laufen ließ. Er hatte einen jungen Menschen aus der Gegend bei sich, der ihm als Führer diente; mit diesem unterhielt er sich in russischer Sprache, so, daß von seiner übrigen Umgebung niemand verstehen konnte, was er mit ihm sprach. Der ganze Zug wurde als ein Geheimnis behandelt. Man befand sich in einem ziemlich dichten Gehölz, als Rasinski haltmachen ließ. Er selbst ritt, nur von seinem Boten begleitet, weiter vorwärts und hieß das Regiment seine Rückkehr abwarten.
Es herrschte eine erwartungsvolle Spannung. Ringsum leises Schweigen; der Donner der Schlacht, den man noch lange in der Ferne gehört hatte, war verstummt. Die hereinbrechende Nacht hatte dem blutigen Spiel ein Ende gemacht. Nur der Wind rauschte in den Wipfeln der Birken und Tannen, und von Zeit zu Zeit hörte man den Ruf des Auerhahns. Eine halbe Stunde brachte man auf diese Weise zu. Da kam Rasinski zurück und gebot vorzurücken. Es geschah im Schritt. Man mußte einige abschüssige Hügel, die mit Gebüsch und Farnkräutern bedeckt waren, hinauf und hinab; dann stand man unvermutet an einem steilen Abhange, unter dem der Dnjepr rauschte, in dessen Wellen sich der schwarze Nachthimmel düster abspiegelte. »Zu zweien abgebrochen und mir gefolgt!« sprach Rasinski leise, doch so, daß er von den Nächsten gehört werden konnte; murmelnd lief der Befehl weiter. Er ließ hierauf sein Pferd vorsichtig den Abhang hinabklettern, und ritt dann durch den hier kaum drei Fuß tiefen Fluß; ihm folgte zunächst Boleslaw mit seiner Schwadron. Die andern mußten, da der Übergang nur langsam zu bewerkstelligen war, eine ganze Zeit auf der Höhe halten.
Bernhard, der sich immer aufs genaueste zu orientieren suchte, stieß Ludwig leise an und sprach, indem er mit dem Finger nach der Gegend jenseit des Flusses deutete: »Sind das da drüben nicht matterleuchtete Fenster? Mir deucht, ich müßte mich sehr irren, wenn wir uns nicht ganz in der Nähe des Schlosses befänden, das uns heute früh schon auffiel.« – »Möglich!« entgegnete Ludwigs »Aber sieh nur den hellen Schein dort hinter uns! Was mag das bedeuten? Über der Waldspitze ist der Himmel ganz gerötet.« – »Es wird der aufgehende Mond sein«, sprach Jaromir, der hinzugekommen war.– »Das kann nicht sein,« entgegnete Bernhard, »denn der kommt erst um Mitternacht.« Da zuckte plötzlich ein roter Blitz durch den Nachthimmel, und ein blutiger Widerschein wurde in den Wellen des Stromes sichtbar. »Das ist Feuer!« rief Jaromir. »Seht, seht! Jetzt bricht es aus, die Flammen schlagen mächtig empor. Es ist Smolensk, das in Brand steht.«
Man konnte nicht mehr daran zweifeln, denn die düstere Glut, von hellern Feuerstreifen durchzuckt, wuchs jetzt mit jedem Augenblick gewaltiger am Horizont empor und fing an, ihren leuchtenden Glanz bis auf den Ort zu verbreiten, wo die Reiter hielten. Jetzt wurden auch die schwarzen Turmzinnen der Stadtmauer auf dem rotglühenden Hintergrunde sichtbar, und die Waldspitzen in der Nähe erschienen wie von der späten Abenddämmerung rötlich beleuchtet. Das schöne, aber furchtbare Schauspiel erfüllte jede Brust mit einem seltsamen Schauer. »Siehst du, daß ich recht hatte,« fing Bernhard jetzt wieder zu Ludwig an, indem er nach dem jenseitigen Ufer zeigte; »erkennst du nun das Schloß in dem roten Widerscheine der Flammen? Horch! die Glocke aus dem Dorfe. Ich glaube, man läutet Sturm!«
In der Tat lag das altertümliche Gebäude ganz deutlich, und kaum eine Viertelstunde entfernt, vor ihren Augen da. Eine wunderbare Empfindung regte sich in Ludwigs Brust. Sollte die halb im Scherz gesprochene Prophezeiung wahr werden? Sollten Mord und Brand auch hier wüten? Doch es blieb ihm keine Zeit zu diesen Betrachtungen, denn eben setzte sich auch der Zug, zu dem er gehörte, in Bewegung, um durch den Fluß zu reiten. Bernhard schloß sich dicht an ihn an; als ihre Pferde den Fuß in die Wellen setzten, sprach er halb im Scherz, halb schauernd: »Reiten wir durch den Phlegethon, durch den Styx oder Kokytos? Man weiß wahrlich nicht, ob es ein schwarzer oder ein feuriger Höllenstrom ist!« Der blutige Widerschein der
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