1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Antlitz, und so viel männliche Entschlossenheit, gepaart mit sanfter Hoheit, daß der Eindruck ein unvergeßlicher sein mußte. Noch folgte Bernhard mit unverwandtem Auge der edeln Gestalt, als das Klirren eines Säbels aufs neue seine Blicke nach dem Eingang des kaiserlichen Zeltes zog. Es war der König von Neapel, der in seiner abenteuerlich kriegerischen Tracht, eine Reiherfeder auf der mit Pelz verbrämten Mütze, mit hastigen Schritten aus dem Zelte trat, indem er einige unverständliche Worte vor sich hin murmelte, die aber wie ein Nachhall des Zorns und des Eifers klangen. Ohne Bernhard zu bemerken, ging er dicht an dessen Pferd vorüber, da unterschied dieser deutlich, daß der König, im Gehen mit dem Fuße stampfend, mit halbunterdrückter Stimme ausrief: »Moscou! Moscou! Cette ville nous perdra!«
Kaum war er indessen einige Schritte weiter, als er plötzlich, wie sich besinnend, stillstand, sich umwandte und rief: »Wo ist die Ordonnanz des Obersten Rasinski?« Bernhard wollte vom Pferde springend sich melden, doch der König rief ihm zu: »Bleibt sitzen! Diese Order für den Oberst! Eilt!« Mit diesen Worten entfernte er sich, und Bernhard sprengte sofort dem Biwak seines Regiments zu. Mit einem glücklichen Ortssinn begabt, gelang es ihm trotz der Finsternis und den von allen Seiten verwirrend flackernden Wachtfeuern, die, weil ihre Ferne und Nähe so schwer zu schätzen ist, oft wie Irrlichter vom rechten Wege ableiten, dennoch in kurzer Zeit die Lagerstelle seiner Kameraden aufzufinden. Rasinski erbrach die Depesche mit hastiger Ungeduld und durchflog sie beim Glanz des Feuers. »Gut, gut,« murmelte er für sich; »ich fürchte aber, es wird nicht nötig sein.«
Die Nacht verstrich ohne ein merkwürdiges Ereignis; man hatte die Wachen verdoppelt, und ein Teil der Leute blieb unter Waffen; indessen wurde die Ruhe der andern durch nichts gestört. Mit Anbruch des Tages erwartete man den Feind in Schlachtordnung aufgestellt zu sehen. Doch es war eine Täuschung. Der weite Raum, den man ihm zum Schlachtfelde gelassen, war leer. Die Stadt mit ihren alten, dicken, von achtzehn Türmen gekrönten Mauern lag schauerlich still in der Morgendämmerung da; kein Laut schien sich in derselben zu regen. Das ganze französische Heer war unter Waffen; jeden Augenblick konnten die Truppen in die Schlachtordnung einrücken. Man sah den Kaiser, von Marschällen und Adjutanten begleitet, mehrmals über das Feld reiten; er jagte eine Anhöhe nach der andern hinauf und sah umher, teils um im Fall der Schlacht seine Anordnung zu treffen, teils in der steten Hoffnung, endlich den Feind irgendwo debouchieren und sich zum Kampf aufstellen zu sehen.
Ein Marschall, es war Belliard, kam auf Rasinski zugesprengt, rief ihn heran und sprach einige Worte mit ihm. Sogleich befahl dieser der ersten Eskadron, welche Boleslaw führte, ihm zu folgen. Sie ritten eine Strecke am Dnjepr hinauf; bei einer Krümmung des Weges stießen sie auf etwa zwanzig bis dreißig Kosaken, die, sobald sie des Feindes ansichtig wurden, wie ein Schwärm aufgescheuchter Vögel eiligst über das Blachfeld sprengten. Im Augenblick waren sie verschwunden; doch erblickte man sie einige Minuten darauf wieder an der Spitze eines Hügels, wie sie eben an einer Stelle des Flusses, welche durch die Biegung desselben bisher verdeckt war, mit ihren Pferden nach dem jenseitigen Ufer hinüberschwammen.
»Teufel!« rief Rasinski plötzlich aus und wandte sich zu dem Marschall, während er mit der Säbelspitze in die Ferne deutete: »Sehen Sie dort die Kolonnen! Das ist die russische Armee im vollen Rückzuge auf der Straße nach Moskau!« Der Marschall warf einen unmutigen Blick hinüber. »Der Kaiser wird außer sich sein; bis jetzt hatte er noch immer gehofft, das Heer zur Schlacht ausrücken zu sehen, und Davoust bestätigte ihn in diesem Wahne. Nun muß jede Täuschung schwinden, denn das sind zu unermeßliche Züge von Artillerie, Infanterie und Kavallerie, welche die Straße bedecken. Doch ich will es ihm sogleich melden.« Im gestreckten Galopp jagte der Marschall jetzt über das Feld zurück, dem Gezelt des Kaisers zu.
Rasinski beauftragte Boleslaw, mit der Schwadron den Fluß hinauf zu rekognoszieren, ob er eine Furt finden könnte, durch die man mit Kavalleristen und im Notfall auch mit Artillerie und Infanterie das andere Ufer erreichen könne; denn er dachte sogleich mit Recht, daß der Kaiser den Befehl geben werde, der Armee in die Flanken zu fallen
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