1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
vor ihnen liegende Schloß heran. Sie waren jetzt nur noch einige hundert Schritte davon entfernt. Rasinski ließ halten. »Freunde,« sprach er, »wir sind am Ziele. Dort im Schlosse sind, wie ich mit Sicherheit weiß, viele russische Generale, und Vornehme zu einem Hochzeitsfest beisammen. Sie aufzuheben ist die Absicht unserer gewagten Unternehmung. Jetzt laßt uns leise heran, bis wir den Boden eben vor uns sehen, daß kein Hindernis mehr uns aufhalten kann. Dann aber wie die Windsbraut drüber hin! Nun vorwärts, Freunde, haltet euch wacker, seid schnell, kühn, doch behutsam! Vorwärts!« Sie rückten vor bis an einen sanften Abhang. Jetzt ließ Rasinski zum Angriff blasen, und im vollen Laufe der schnaubenden Rosse sprengte die Schar den Weg zu Schloß und Dorf hinan.
Siebentes Buch.
Erstes Kapitel.
Die gewaltigen Erschütterungen, welche sich in einem so kurzen Zeitraume zusammengedrängt und Feodorownas Herz bestürmt hatten, müßten sie endlich, trotz der frommen Ergebung und sittlichen Fassung, womit sie ihrem Schicksale entgegentrat, überwältigen. Sie war aufs Krankenlager gesunken, ein heftiges Fieber glühte in den aufs äußerste gereizten Nerven; der Arzt hielt ihre Lage für gefährlich. Axinia wollte daher jetzt durchaus nicht von der Seite der teuern Gebieterin weichen, so bange Befürchtungen auch Paul und sie selbst über ihr eigenes Geschick hegten, wenn Feodorowna sterben sollte, ehe sie das Land verlassen hätten. Und um so weniger konnte Axinia sich von dieser Pflicht entbinden, da die Kranke sichtlich nur ihre Nähe und Wartung ertrug und sogleich in einen gereiztern und somit gefährlichern Zustand geriet, wenn eine andere Hilfe sich ihr zu nahen suchte. Am meisten war dies mit ihrer Mutter der Fall, da ihre Gegenwart Feodorowna mit einer Art von Schauder berührte, so daß sie in die heftigste Angst verworrener Fieberträume geriet, sobald dieselbe ihrem Lager nahte. In ruhigern Zeiträumen durfte Jeannette die erschöpfte Axinia ablösen; sowie aber der fieberhafte Zustand sich verschlimmerte, verlangte Feodorowna mit krankhafter Sehnsucht wieder nach Axinias Pflege. Fast ein Monat verstrich in dieser traurigen Weise. Da fing Feodorowna an sich langsam zu erholen, doch war sie so erschöpft von der Krankheit, daß ihrem Leben noch immer Gefahr drohte. Denn waren gleich nicht stürmische Anfälle des Fiebers mehr zu fürchten, so schien es doch zweifelhaft, ob der Körper noch Macht genug habe, sich von der zehrenden Ermattung zu erholen. Die milde Jahreszeit aber wirkte segensreich ein; der Juli mit seiner warmen Sonne, die selbst der nördlichen Erde einen reich grünenden Teppich entlockt, pflegte die geknickten Keime des Lebens zu einer neuen Blüte heran. Feodorowna genas, fast wider ihren Willen; und hätte nicht der tiefe, verschlossene Schmerz, der an ihrem Herzen nagte, seine Spuren leise um Wange und Lippe gezogen und den reinen Schimmer ihres blauen Auges leicht verschleiert, so würde die holde Gestalt wieder so lieblich aufgeblüht sein wie eine Rose, in der noch die Tropfen des vorübergezogenen Gewitters glänzen. Aber sie war nicht erfrischt durch die Ströme des Himmels, sie war nur geknickt durch seine Stürme.
Wer selbst duldet, hat ein zartfühlendes Herz für Wünsche und Leiden anderer. So erkannte Feodorowna, daß es jetzt ihre erste Pflicht sei, das letzte drohende Gewölk von dem Himmel Axinias zu verscheuchen und ihre Verbindung und Abreise zu beschleunigen. Gregor gab dem jungen Paare die kirchliche Weihe; an demselben Tage noch verließ es, reichlich beschenkt, das Schloß, um sich mitten durch das Getümmel des Kriegs hindurch eine Bahn zu friedlichem Glücke auf andern Fluren zu suchen.
Feodorowna stand nun ganz einsam; denn trotz ihres unermeßlichen Opfers, trotz der willigen Demut, mit der sie sich in das Gebot der Eltern gefügt hatte, blieb die Mutter doch völlig kalt gegen sie. Nicht einmal Mitleid schien sie für die Qual zu haben, welche Feodorowna um ihretwillen duldend trug. Es ist wahr, sie hatte sich niemals anders gezeigt und die innigste Liebe der Tochter auch in frühern Jahren höchstens mit einer vornehmen Freundlichkeit erwidert. Indessen war Feodorowna daran gewöhnt gewesen und hatte in diesen kalten Formen nur das Übergewicht des mütterlichen Ansehens erkannt und geehrt; jetzt aber fühlte sie, daß ein liebendes, aufopferndes Kind eines andern Mutterherzens bedürfe. So verwandelte sich auch ihre Liebe in eine bange Scheu der
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