1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Rußlands, der die Schmach des Vaterlandes blutig rächt!« – »Er lebe!« riefen die Männer und klangen mit den Gläsern an.
Die Gräfin Dolgorow stand auf; in ihrem Auge glänzte ein ungewohntes Feuer, die sonst so kalten Züge belebten sich. »So will auch ich alter vaterländischer Sitte gedenken,« sprach sie, »und du, Feodorowna, folge meinem Beispiele.« Bei diesen Worten nahm sie den Schleier von ihrem Haupte, zerriß ihn und verteilte ihn an die ihr zunächstsitzenden Männer. Auch die Braut nahm den Schleier, unter dem sie bisher ihr duldendes Antlitz zu verhüllen gesucht hatte, vom Haupte. Ein jungfräuliches Erröten überflog ihre Wange, als sie ihn zerriß und verteilte. »Nehmen Sie, mein Gemahl,« sprach sie mit versagender Summe, »dies Andenken Ihrer zurückbleibenden Gattin mit in den Kampf; nehmen auch Sie es, würdige Helden meines Vaterlandes! Möge es Sie in ernster Stunde daran erinnern, daß Ihre Tapferkeit den edeln Beruf hat, Rußlands Töchtern das Heiligtum weiblicher Unverletzbarkeit zu erhalten, und daß Ihrer der gerührteste Dank harrt, wenn Sie, mit Lorbeeren geschmückt, uns dereinst dieses Zeichen der Weihe zum Kampf, das Frauenhände Ihnen reichten, von edeln Tropfen vaterländischen Blutes verschönert zurückbringen.«
Feodorowna senkte das schöne Auge auf den Boden, als sie die Worte zu dem alten Krieger sprach, der den Ehrenplatz zu ihrer Rechten eingenommen hatte. Dieser aber ergriff ihre Hand, küßte sie feurig und erwiderte: »Mit einem Angedenken aus solcher Hand geht man der Schlacht so freudig entgegen wie dem Hochzeitsfeste. Bald hoffe ich, schöne Fürstin, dieses Zeichen, mit echt russischem Blute geschmückt – denn darauf würde ich stolz sein – zurückbringen zu können, damit ihr es, wie es die Sitte unsers Vaterlandes will, einlöset.« Ein höheres Rot färbte Feodorownas Wange, denn die Erlaubnis, dreimal die frischen Lippen der Frau oder Jungfrau zu küssen, deren Weihezeichen man so gefärbt zurückbrachte, durfte dem tapfern Sohne des Vaterlandes, nach altem Herkommen, von keiner Tochter aus Ruriks Stamme verweigert werden. Ein Gebrauch, der, längst aus der Tagessitte verschwunden, doch noch in geschichtlicher Überlieferung aufbewahrt wurde und den man jetzt wieder ins Leben rief. Denn bei großen Wendepunkten ihres Schicksals pflegen die Völker sich ihrer alten Gebräuche, ihrer väterlichen Sitten, ihrer Helden, ihrer Geschichte lebendiger und dankbarer wieder zu erinnern; oft nicht ohne innern Vorwurf, daß sie so lange, gewissermaßen treulos gegen würdige Vorfahren, des heilig Überlieferten vergessen haben.
Der Abend brach an, als die Tafel aufgehoben wurde und die Gäste sich in die anstoßenden Zimmer verteilten. Mit qualvoller Beängstigung sah Feodorowna die Stunde näher und näher rücken, in der sie, ihrem Gatten allein gegenüber, den letzten schauerlichen Kampf mit ihrem Herzen zu bestehen haben würde. Da nahte sich ihr Jeannette, in einem Augenblicke, wo sie, getrennt von der Gesellschaft, im Nebenzimmer etwas an ihrer Kleidung ordnete, und berichtete ihr, Gregor sei auf ihrem Gemach und verlange dringend sie zu sprechen. Wie gern eilte Feodorowna, den Wunsch des so geliebten, würdigen Greises zu erfüllen! Ach, ihr ganzes Herz drängte sich zu ihm hin, denn von ihm allein hoffte sie Trost und Stärkung für die schwere Prüfung, der sie entgegenging, Sie fand ihn auf ihrem Zimmer; ernster als gewöhnlich war der Ausdruck seiner Züge. »Meine Tochter,« redete er sie an, »die Stunde ist gekommen, wo ich von wichtigen Dingen zu dir zu reden habe. Du bist nun unwiderruflich die Gattin des Fürsten Ochalskoi, denn der segnende Spruch der Weihe hat euch vereint. Der Tod allein kann dies Bündnis trennen.«
»O mein teuerer Vater,« unterbrach ihn Feodorowna, »ich weiß es; aber ich werde in meiner Pflicht nicht wanken. Ihm, dem mein Wort, wiewohl mit widerstrebendem Herzen, mich zugesagt, werde ich treu und ergeben sein bis an das Ende meiner Tage. Ach, ich hoffe, es wird so fern nicht sein! Überwältigt von Schmerz lehnte sie das müde Haupt gegen die Brust des greisen Mannes.
»Es ist nicht das, wovon ich sprechen will, liebe Tochter,« entgegnete Gregor sanft, »denn der Kraft deiner Tugend bin ich sicher. Ich kam, dir ein Geheimnis zu offenbaren, das deine Pflegerin Ruschka, sterbend, in der letzten Beichte in mein Ohr niedergelegt, und das sie, sollte der Tod auch mich abrufen, diesen Papieren anvertraut hat. Ich
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