1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
und blickte auf die öde Landschaft, welche von dem Getümmel des Kriegs durchs zogen wurde, in den blaßgrauen Himmel, durch den sich die dampfenden Wolken der Schlacht wälzten, hinaus. Plötzlich wurde sie leise von einer Hand berührt. Es war Jeannette mit dem Brautkleide über dem Arm; Feodorowna schauderte zusammen und seufzte aus erschöpfter Brust tief auf. Doch sprach sie keinen Laut der Klage aus; geduldig ließ sie sich schmücken wie ein Opfer, das zum Altar geführt wird.
Eben hatte Jeannette ihr den Kranz in die Locken gedrückt, als Ochalskoi eintrat, um sie zu begrüßen und hinüberzugeleiten in die Kirche, wo Gregor ihrer harrte. Wo die Notwendigkeit eintrat, fand Feodorowna Heldenstärke in ihrer großen Seele. Ernst, schweigend, doch ohne zu wanken, schritt sie an Ochalskois Arme die breiten Stufen hinab. Im Saale empfingen sie ihre Eltern und die versammelten Gäste. Es waren nur einige männliche Verwandten beider Familien, meist ältere Männer von höherm Range, und mehrere Generale, die als die Vorgesetzten Ochalskois geladen waren. Der Zug, das Brautpaar an der Spitze, bewegte sich nach der Kirche. Die Dorfbewohner waren zusammengeströmt und bildeten eine Gasse, durch die Feodorowna, mit wehmütiger Freundlichkeit ringshin grüßend, dahinschritt. Man hatte Blumen auf den Pfad gestreut; sie konnten den dunkeln Abgrund nicht verhüllen, den die Braut unter ihnen sich öffnen sah. Ernst waren selbst die Gäste und das Volk, denn ein Hochzeitsfest, wo sich in den frommen Klang der Kirchenglocken der nahe Donner der Schlacht mischt, wo tausend blutende Opfer im Hintergrunde fallen, während die Worte des Friedens und des Segens ertönen, ist kein freudiges zu nennen! Gregor sprach tief bewegt, ernst, tröstend; alles horchte in feierlicher Stille. In wenigen Minuten waren die kirchlichen Gebräuche vollendet, und der Zug nahm seinen Weg nach dem Schlosse zurück, wo ein Mittagsmahl die Gäste versammelte.
Während des Mahles dauerte der Kanonendonner fort, ja er wuchs noch. Die Gräfin Dolgorow wurde ängstlich und meinte, ob es nicht besser sei, bald aufzubrechen. »Wir sind hier in völliger Sicherheit,« begann einer der Generale, die sich bei der Tafel befanden; »Smolensk ist der Schlüssel dieser Straße. Solange dieses Tor nicht gesprengt ist, kann der Feind nicht weiter vordringen. Und überdies decken uns gegen kleine Neckereien noch immer starke Schwärme von Kosaken, die das Ufer des Flusses auf und ab schwärmend bewachen.«
»Ich wünschte doch,« sprach Dolgorow mit finsterm Blicke, »daß man ernstere Anstalten zum Widerstande hier getroffen hätte, wiewohl es mit meinen Familienplänen sehr übereinstimmt, daß es nicht geschehen ist. Denn ich hätte sonst schwerlich einen Tag gefunden, wo die Verheiratung meiner Tochter möglich gewesen wäre. Doch das Wohl des Vaterlandes steht mir höher, und diesem, glaube ich, wäre es angemessener gewesen, unter den vorteilhaften Umständen, die sich uns darboten, hier eine Schlacht anzunehmen. Ich kann mich, das gesteh' ich ganz offen, nicht mit den Ansichten des Feldmarschalls vereinigen, der immer nur im Rückzug sein Heil sucht.«
»Gewiß keiner von uns«, erwiderte, der General entschieden. »Wäre Graf Barclay de Tolly ein geborener Russe, so würde er die Schmach unsers Vaterlandes auch nicht so geduldig ertragen. Doch hier, wo ich nur echte Russen beisammen sehe, kann ich wohl im Vertrauen ein Wort sprechen. Ich glaube, es wird die längste Zeit so gewährt haben; man spricht davon, daß der Kaiser den dringenden Vorstellungen aller Stände und der höchsten Staatswürdenträger endlich nachgegeben und sich entschlossen habe, einem andern den Oberbefehl zu übergeben.« »Dem Fürsten Bagration?« fragte Dolgorow rasch. – »Ich sollte ihn noch nicht nennen,« entgegnete der General; »doch ist es ein edler, würdiger Russe. Man ist bereits in Unterhandlung mit ihm getreten. Einem Waffengefährten Suworows wird es aufbehalten sein, Rußlands alten Ruhm zu erneuern.« – »So ist es Fürst Kutusow und kein anderer«, sprach Ochalskoi feurig. »Dem würdigen Greise, er werde unser Feldherr oder nicht, sei dieses Glas dargebracht!« Zugleich stand er auf und erhob das vor ihm stehende angefüllte Kelchglas; alle Männer folgten seinem Beispiele und stießen an. »Möge unser Führer sein, wer er wolle,« sprach Dolgorow mit lauter Stimme, »wir wollen unsern Trinkspruch so fassen, daß er immer einem Würdigen gelte: Dem Sohne
Weitere Kostenlose Bücher