1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
geworfen und die Dämmerung benutzt hatte, um die Stellung des Feindes noch einmal zu rekognoszieren. Zu seiner Freude hatte er aus den in schwarzen Zügen heranrückenden Reservekolonnen, die sich in der Ebene verbreiteten, aus den langen, von Moskau heranziehenden Reihen der Munitions- und Proviantwagen, aus der furchtbaren, noch immer mehr und mehr befestigten Verschanzungslinie auf den Anhöhen, die Gewißheit geschöpft, daß der Tag der Schlacht gekommen sei. Er trug nun kein Bedenken mehr, sie seinen Truppen zu verkünden. Eine halbe Stunde nach jenem einzelnen Schusse wurde die Proklamation an das Heer erteilt; Rasinski erhielt sie durch einen Adjutanten. Er sammelte sogleich die Seinigen um sich her und las sie ihnen bei dem Glanz des rot aufflackernden Feuers mit ernster Stimme vor:
»Soldaten! Der Tag der Schlacht, den ihr so lange herbeigewünscht, ist da. Der Sieg steht bei euch; er ist uns notwendig, er wird euch Überfluß, ein sicheres Winterlager, eine schnelle Rückkehr in die Heimat gewinnen. Zeigt euch wie zu Austerlitz, Friedland, Witepsk und Smolensk, daß euere späten Enkel noch mit Stolz von ihren Ahnen sagen können: Er focht in der gewaltigen Schlacht unter den Mauern von Moskau!«
Die kurzen, ernsten, gewichtigen Worte fielen mächtig in die Brust der Krieger. Ein edles Feuer flammte aus ihren Blicken, und als Rasinski den Säbel zog, ihn mit der Rechten hoch emporhob und laut ausrief: »Es lebe der Kaiser!« da donnerte der tausendfache Ruf der Begeisterung mächtig in die Luft, daß er weit durch die Nacht erscholl, und der Wind ihn hinübertrug in das Lager des Feindes.
Der kommende Tag forderte große Anstrengungen; Rasinski gebot daher seinen Kriegern, jetzt der Ruhe zu pflegen, damit der Morgen sie mit den frischesten Kräften fände. Den Führern schlug er jedoch, um die freiere Stimmung zu unterhalten, hauptsächlich aber um Ludwig zu zerstreuen, einen Gang durch das Lager der Garden nach dem kaiserlichen Gezelt vor, welches nicht fern von dem Biwak der Kavallerie aufgeschlagen war. Man nahm den Vorschlag gern an. Bald hatte man das große Viereck erreicht, welches die Garden beschützend um das Gezelt des Kaisers geschlossen hatten. Der Anblick dieser auserlesenen Krieger, wo man keine Stirn ohne Narbe, keine Brust ohne Orden sah, mußte eine männliche Seele mit kraftvollem Selbstgefühl durchdringen; sogar der wehmütig gestimmte Ludwig richtete sich freier auf, als er durch die Reihen dieser Helden schritt. Noch lebendiger wurde Bernhard aufgeregt.
»Wahrlich, eine ganze Galerie von Genrebildern!« rief er aus, indem er sich zu den Freunden wandte. »Zehn Jahre wollte ich hier sitzen und zeichnen. Und welch ein Studium von Köpfen und Trachten! Bemerkt einmal den Grenadier dort, der eben sein Gewehr putzt. Mit welchem Ernst er die Waffe prüft und betrachtet; in jedem Zug sieht man es, daß er sie wie ein Heiligtum in Ehren hält. Wie er den Schein der Flamme darauf spielen läßt und sich selbst in dem blanken Lauf spiegelt! Hm, der alte Knabe darf sich wohl ansehen, und mir deucht, die breite Narbe, die ihm die Brauen über dem linken Auge spaltet, kann ihm gefallen. Jetzt ist er fertig; er tut einige Griffe, schlägt an. Sicher denkt er schon daran, wie er morgen mitten im dichtesten Pulverdampf seinen Feind aufs Korn nehmen und mit Augen betrachten wird, die noch durchbohrender scheinen als die Kugel im Lauf.« Im Fortwandeln schweifte Bernhards geübtes Malerauge über alle Gruppen zur Rechten und zur Linken hin, und wo er einen charakteristischen Kopf sah, machte er die ruhiger hinwandelnden Freunde in seiner scherzenden lebendigen Darstellungsweise darauf aufmerksam. Zugleich lag ihm dabei der dunkle Trieb in der Seele, die tief bekümmerte Brust Ludwigs aufzuheitern. »Seht dort drüben den bärtigen Sergeanten, der sich die blutende Stirn verbindet«, rief er. »Wie gleichgültig er dazu sieht! Freilich, sie ist der Narben gewohnt! Ich sehe da so einige breite, zackige Hieroglyphen, die vermutlich ein Mameluckensäbel an den Pyramiden hineingezeichnet hat. Deine Stirn ist ein verteufeltes Stammbuch! Wer sich eingeschrieben hat, bleibt dir gewiß im Gedächtnis, schwerlich aber im freundschaftlichen. Der Kerl dort gefällt mir! Wahrhaftig er rasiert sich; glatt geschabt, wie zum Sonntagstanz vor der Barriere von Neuilly, oder in die lustigen Weinhäuser von St.-Denis, wo es so viel schwarzäugige Grisetten gibt, will er morgen in die Schlacht gehen. Es ist ein
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