1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Frieden, Heimkehr. Regt ihm daher nur die Sehnsucht zu der letzten mächtig an, so darf euch um den ersten nicht bange sein.«
»Guten Abend, Graf«, redete eine bekannte Stimme Rasinski an; es war Regnard. »Gut, daß wir uns heute noch sprechen,« fuhr er fort, »morgen wird man nach manchem vergeblich fragen. Ich denke, die Schlacht wird den Anstalten dazu Ehre machen. Man marschiert nicht achthundert Limes, um ein Vorpostengefecht zu liefern.« – »Nun, bis jetzt ist es uns doch nicht viel anders ergangen«, erwiderte Rasinski.
»Jede Frucht will reif werden, Graf. In Rußland erntet man später als bei uns. Gebt acht, morgen haben die Sensen etwas zu tun. Die Russen meinen es diesmal sehr ernstlich!« – »Weiß man das schon gewiß?« – »Es läßt sich nicht mehr daran zweifeln. Eben war ich dabei, als ein Überläufer seinen Bericht abstattete. Der alte Kutusow ist gewiß, daß wir morgen angreifen, und hat beschlossen, standzuhalten wie eine Festung. Aber ernstlich, der Russe ist auf einen entscheidenden Kampf gefaßt, ist förmlich zum Tode geweiht. Ihr hörtet doch gegen den Nachmittag die seltsame Musik herüberschallen und habt die Bewegung im Lager beobachtet, als die Leute unter Waffen traten?«
»Freilich! Und was bedeutete sie?«
»Es war die Traurede zu der Hochzeit, die wir feiern sollen. Der alte Fürst hatte sich mit allen seinen Priestern und Archimandriten umgeben, die in ihren Prachtgewändern das Lager durchzogen. Sie trugen ein heiliges Bild, das sie aus Smolensk gerettet, durch die Reihen der Krieger. Der Russe betet es als wundertätig und beschirmend an. Seine Kirche erfüllt ihn mit fanatischem Mute. Seine Priester haben ihn nun zum Kampfe geweiht; wer fällt, dem ist die Seligkeit des Jenseits gewiß. Ihr kämpft morgen für den Altar euers Gottes, hat man ihnen zugerufen; ihr müßt euere heilige Stadt Moskau, die der Feind verheeren will, beschirmen, euere Weiber und Töchter vor Schmach und Sklaverei beschützen. So etwas wirkt; der gemeine Russe dürstet jetzt ordentlich nach dem Märtyrertum, von unsern Kugeln zu fallen. Ich habe auch die Proklamation gelesen; man schmeichelt uns darin eben nicht, und ich versichere euch, es würde schwer halten, den Grimm eines Kettenhundes so giftig gegen uns zu reizen, als der alte Zyklop da drüben seine Eisbären gegen uns heranhetzt. Mir sieht die Sache verteufelt ernsthaft aus, denn zum Scherz, das wißt ihr wohl, stört man den Soldaten nicht so auf, da dergleichen Stimmungen nicht sechs Wochen vorhalten, und man sich hüten muß, sie vergeblich zu erregen, weil dann die Wiederholung schlecht ausfällt. Darum sage ich euch, wir finden morgen den Feind noch auf dem alten Fleck; vielleicht noch übermorgen. Denn eine eherne Mauer rennt sich so leicht nicht um, und Fanatiker sind noch zäher als Eisen.«
»Wie! Ihr zweifelt am Siege, Regnard?« rief Rasinski fast unwillig.
»Keineswegs! Aber er wird blutig werden. Ein zwanzig-, dreißigtausend Mann dürften wohl morgen abend die Erde hier düngen und so friedlich nebeneinander liegen, wie sie sich am Tage grimmig gepackt haben. Sollten wir darunter sein, Oberst, so laßt uns jetzt Abschied nehmen, denn ich muß zu meinem Korps zurück.« Er reichte Rasinski die Hand dar, die dieser kameradschaftlich schüttelte. »Leben Sie wohl, meine Herren!« wandte er sich zu den übrigen. »Auf Wiedersehen; morgen abend oder in Moskau; wir nehmen's indessen nicht übel, wenn auch einer oder der andere von uns gehindert wäre, Wort zu halten.« Mit diesen Worten verschwand er in der Menge. Kaum war er fort, als Petrowski sich eilig durchdrängte und Rasinski eine versiegelte Depesche übergab«
»Wir müssen zurück«, sprach dieser, als er gelesen hatte. »Es werden noch in dieser Nacht veränderte Stellungen der Truppen genommen werden. Kommt denn, Freunde, es ist keine Zeit zu verlieren.« Sie erreichten ihr Lager wieder. Rasinski befahl die Feuer zu löschen, die Leute mußten unter die Waffen treten. Bald darauf brachte ein Adjutant, so schien es, den Befehl zum Aufsitzen, und das Regiment setzte sich in Marsch. Im Reiten bemerkte man, daß im ganzen Lager der Franzosen die Feuer erloschen waren, oder doch nur spärlich und düster brannten. In dem russischen Lager dagegen flammten sie hoch auf und beschrieben einen weiten, düster glühenden Sternenkreis um den dunkeln Horizont.
Der Marsch war nur kurz; man hatte sich näher gegen das Zentrum der Armee gezogen. Am Abhange einer Anhöhe,
Weitere Kostenlose Bücher