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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Stimme, als er vermochte; »umschwebten mich solche Schutzgeister, ich wollte in dem Krater des Hekla ruhig schlummern. Bruder Ludwig, wir sollen dich trösten? Tröste du uns, zu denen niemand ein solches Wort der Liebe spricht. Lies, lies,« wandte er sich zu Rasinski und reichte ihm den Brief hinüber; »es ist das Evangelium unsers heutigen Tages.«
    »Ich sollte sie also nicht wiedersehen!« sprach Ludwig mit unterdrückter Stimme und lehnte sein Haupt an Bernhards Brust.
    »Daß der Teufel uns auch noch bis morgen hinzerren will auf der Folterbank,« rief Bernhard unwillig; »jetzt könnte ich die Schlacht brauchen, gleich! Tapfer? Tapfer werde ich nicht sein; ob mir aber jemals in meinem Leben etwas Gleichgültigeres begegnen kann als eine Batterie, die einen Niagarastrom von Kartätschen über mich ausspeit, das möchte ich schwerlich glauben. Kommt, laßt uns nach den Hütten hinübergehen, wo Jaromir und Boleslaw liegen; am Abend vor der Schlacht muß man sich doch auch einmal aussprechen. –
    Aber ist's denn Ernst?« Bernhard hatte, solange er sprach, Ludwigs Hand nicht aus der seinigen gelassen und sie fast krampfhaft gedrückt. Die letzten Worte richtete er an Rasinski, der aus düsterm Sinnen auffuhr.
    »Ernst? So gewiß als das herbe Schicksal, das unsern Freund getroffen.« Er fuhr mit der Hand zweimal über die Stirn, als werde es ihm schwer, sich zu sammeln und zu besinnen. »Was wollte ich doch sagen? – Ja – Kutusow will morgen schlagen – es ist unbezweifelt. Der Kaiser hat schon das Schlachtfeld rekognosziert. Der Tag von gestern war nur das Vorspiel. Der siebente September ist bestimmt, um in die Jahrbücher der Geschichte eingeschrieben zu werden.«
    »Man wird ihn also rot im Kalender anstreichen; und blutig rot, denke ich«, entgegnete Bernhard. »Mir gleich. Je mehr der Tod in Masse erntet, je kühler sehe ich zu. Was gibt es Gleichgültigeres als die summarischen Sterbelisten eines großen Reichs am Schlusse des Jahres? Und keine Schlacht, die erbittertste selbst, ist so mörderisch als ein einziges Jahr des ruhig fortlaufenden Zeitstroms. Was sage ich? Ein Jahr? Ein Tag, eine Stunde, ein Augenblick, wenn wir den Blick über die nächste Scholle, auf der wir stehen, hinwegschweifen lassen! Ich weiß überhaupt nichts Alberneres, als auf den Tod oder auf Todesgefahr Gewicht zu legen; das Gefährlichste ist: geboren werden, denn damit fängt nicht nur die Lumperei des Sterbens, sondern sogar auch die des Lebens mit seinem Füllhorn von Drangsalen, Jammer, Elend, Schurkereien und Abgeschmacktheiten an. Aber kommt, Freunde! Die Pferde fressen, daß es eine Lust ist. Was sollen wir länger hier?«
    Anders als seine Worte waren Bernhards Handlungen. Denn mit Wärme schlang er den Arm um Ludwig und leitete ihn hinaus ins Freie. »Ich folge euch sogleich«, rief Rasinski den Gehenden nach. – »Nun, ein Eisbär bin ich gerade auch nicht,« murmelte Bernhard, als sie allein waren; »aber meine Tränen habe ich nur für mich und für die, die ganz ich selbst sind.« Hier preßte er den Freund rauh an seine Brust und drückte einen langen Kuß auf seine Lippen. Ludwig fühlte Bernhards warme Tränen und mit ihnen seine ganze Liebe, den vollen Trost seiner ausharrenden Treue.
    Sie gingen zusammen eine kleine Anhöhe hinan, von der sie das mit Roß und Mann bedeckte Feld weit überschauen konnten. Schon hatte der Herbst das Laub gefärbt; die Birken streuten welke Blätter auf den Rasen, alles Grün war tot, fiel ins Graue; der Himmel hing farblos, bleiern über dem Gefilde, rauhe Windstöße fuhren von Zeit zu Zeit durch die feuchte, nebelige Luft. »So sieht es jetzt in meiner Seele aus, lieber Bernhard,« sprach Ludwig mit weichem Tone der Stimme, »so öde und freudlos, und doch so ungestüm bewegt wie in dieser toten, aber dennoch von wildem Verkehr erfüllten Landschaft.«
    »In der meinigen ist das eigentlich die Alltagsfarbe,« erwiderte Bernhard; »nur selten blickt die Sonne, wie zu hohen Festtagen, ein wenig durch den grauen Dunsthimmel. Und selbst dann ist ihr Erscheinen, wie jedes zu flüchtige Glück, eher ein Schmerz als eine Freude. Es weckt nur die Sehnsucht unsers Herzens aus unserm dumpfen Schlummer. Traumgestalten nahen uns so; wir sind voller Liebe, wenn wir aber die Arme ausbreiten, sie zu empfangen, sind sie zerronnen. Ich meinesteils pflege alsdann noch gewöhnlich das Glück zu haben, mit den Knöcheln gegen die Wand zu stoßen, oder mir die Bettdecke ins Gesicht zu

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