1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Eifersucht, die in ihm erwachte. Nein, dachte er einige Minuten später, sie liebt dich gewiß und ihre Trauer war so wahrhaftig, als ihre Briefe sie schilderten. Sollte sie aber deshalb die Begleitung eines genauern Bekannten des Hauses nicht mehr annehmen? Sollte sie sich von einem öffentlichen Feste, das vielleicht sogar einen vaterländischen Charakter trug, ausschließen? Du tust ihr unrecht! Françoise las in seinen offenen Zügen, was in seiner Brust vorging. »Sie sind plötzlich zerstreut, lieber Freund,« sprach sie mit dem Ausdruck der Teilnahme; »die Erinnerung an eine so schöne Braut muß freilich sehr bewegend sein. Schreibt sie Ihnen oft?«
»Ich habe seit dem Tage vor der Schlacht keine Nachricht gehabt. Der letzte Brief war aus Teplitz. Aber sie schreibt oft und mit zärtlichster Innigkeit. Die letzten Worte sprach er gerührt; es war gewissermaßen eine Abbitte seines Verdachts. Doch plötzlich fiel es ihm ein: Warum aber hat sie dir nicht geschrieben, daß sie auf dem Ball war? Sie hat sonst alles, was ihr begegnete, aufs genaueste berichtet, Tag für Tag ihre Beschäftigung angegeben – warum–
Alisette unterbrach ihn in diesen Gedanken. »Wie gern hätte ich von der Gräfin und Ihrer Braut Abschied genommen! Allein es war mir unmöglich. Dreimal ließ ich mich melden, fand aber niemand im Hause. Der Portier sagte mir, sie seien aufs Land gefahren. Von dort kamen sie spät zurück, und am andern Morgen weckte mich der davonrollende Reisewagen.« – »Aufs Land?« fragte Jaromir erstaunt, denn auch das hatte man ihm nicht gemeldet. »Wohin? Kannten Sie den Ort?« – »Nein,« erwiderte Alisette sichtlich verlegen und stockend; »die polnischen Namen sind mir so schwer zu behalten.«
»Vielleicht Wikzolky, das Gut ihres Oheims? Oder Pulawy, wo die Fürstin Czartoryiski wohnt?« Alisette verneinte durch eine Bewegung des Hauptes.
»Aber zu wem? Den Namen des Besitzers werden Sie doch kennen?« – »Der Portier wußte nicht«, erwiderte Alisette furchtsam.
»Das ist unmöglich, Liebe! Wenn er den Ort kennt, so kennt er auch den Besitzer. Ich beschwöre dich, Mädchen, sprich die Wahrheit!« rief er plötzlich mit aufflammender Heftigkeit; Alisette bebte erschreckt zurück. »Mein Gott!« – »Die Wahrheit! War es Czarnowicki?« – »Ich glaube, ja!« – »Dort wohnt Lichnowski!« rief Jaromir wild und sprang auf. »Sie ist treulos, ist so falsch wie je ein Weib! Denn sie verhehlte mir diesen Besuch! Das hätte sie nicht getan, wäre er unschuldig gewesen! Ein Tagebuch sandte sie mir! Von jeder Stunde, jeder Minute gab sie Rechenschaft! Eine Heilige konnte nicht reiner, stiller, jungfräulicher leben. O der Heuchlerin!« Tränen brachen aus dem Auge des Jünglings hervor; er wischte sie unwillig ab und stampfte mit dem Fuße auf den Boden. »Es wäre auch noch der Mühe wert, daß ein Mann wie ein Knabe um sie weinte!« Doch seine Tränen flossen nur um so stärker.
Alisette war zitternd, ohne einen Laut zu wagen, sitzen geblieben; sie glich einem Kinde, das unvermutet ein großes Unglück angerichtet hat, und, vor Schreck erblaßt, ohne ein Einschreiten zu wagen, dem wachsenden Verderben bebend zuschaut. »O, seien Sie ruhig,« bat sie endlich sanft; »setzen Sie sich wieder zu mir. Sie tun der Armen wohl hartes Unrecht!«
»Nein!« rief er heftig, »ich tue ihr nicht unrecht! Willenlos hast du Gute mehr verraten, als du ahnest! Sage mir jetzt die volle Wahrheit. Was weißt du weiter?« – »Wirklich nichts«, erwiderte sie, durch den Ton der Bitte ablehnend. – »Alisette!« bat Jaromir stürmend, indem er ihre beiden Hände ergriff und sich wieder zu ihr setzte, »Alisette! du hattest Schutz und Hilfe von mir erbeten! Jetzt bedarf ich deiner mehr als du meiner, bestes Mädchen! O du bist gut, sage mir alles, ich bitte dich, alles, was du weißt und denkst.«
»Gewiß, ich weiß nichts, und was ich denke – das darf ich nicht denken. O, daß ich ein so unglückseliges Wort sprechen mußte!«
»Nur eins sag' mir,« sprach er mit verhaltenem Zorn und Schmerz, – »ist Fürst Lichnowski der Gräfin nach Teplitz gefolgt?« – »Er reiste denselben Tag«, antwortete Alisette kaum hörbar. – »O, du bist gut – du hättest mich nicht so verraten«, rief er weich und zog mit der Linken die sanft Widerstrebende an sein Herz, und senkte das schwere, müde Haupt gegen ihre lockige Stirn. »Aber ich will sie vergessen. Sie soll den Triumph nicht haben, daß ein Mann um sie weint. –
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