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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Strom drängte langsam vorwärts; ich sah, daß er mich dem Unheil entgegentrieb. Aber vermochte ich es, allein umzuwenden und auf der Straße zurückzuirren, wo jeder Tritt meines Fußes an eine Leiche, an einen Sterbenden rühren mußte? Wie hätte da, wo Tausende von krieggewohnten Männern verschmachteten, weil ihnen die Kräfte versagten, ein schwaches Mädchen einen Rückweg gefunden! Fast wahnsinnig von dem unausgesetzten Grauen, das meine Seele erfüllte, ließ ich mich forttreiben von der Woge meines Schicksals und gedachte in dumpfer Betäubung keines Widerstandes mehr. So hörte ich den Donner der entsetzlichen Schlacht, so fuhr ich mit verhülltem Angesicht über das Leichenfeld, von dem schon ein giftiger Pesthauch emporstieg, so endlich, teuerer Freund, erreichte ich heute diese Stadt. Wie hier ein jeder mit der Überfülle verlassener Räume schaltet, geriet auch ich in diesen Palast, dessen vordern Flügel einige Frauen bewohnen, die ein gleiches Schicksal mit mir teilen, aber es mit leichtfertigem Sinn, ich sollte vielleicht sagen, mit frevelhafter Sorglosigkeit betrachten. Sie haben überdies so schnelle Verbindungen angeknüpft, daß die meinige mit ihnen schon so gut wie zerrissen ist. So war ich denn gleich in den ersten Minuten das verlassenste Wesen in dieser ungeheuern Stadt, in diesem unermeßlichen Reiche. Vor einer Stunde wagte ich mich aus meiner Zurückgezogenheit hervor, halb in der Hoffnung, einen Anker in dieser Not zu entdecken. Da führte ein guter Stern mir Sie entgegen, und – das übrige darf ich Ihnen ja nicht erst erzählen«, setzte sie leise hinzu und beugte das anmutige Haupt verlegen nieder.
    Das Wunderbare und Überraschende des Abenteuers, der einsame, traulich geheime Aufenthalt, die Anmut, welche Françoise Alisette selbst in die leisesten Bewegungen und Sprachtöne zu ergießen wußte, das Rührende und Ergreifende ihrer Erzählung und lebendigen Schilderung, der Gedanke an ihre weibliche Hilflosigkeit in dem kolossalen Treiben des Kriegs, wo selbst der einzelne Mann sich gegen das unermeßliche Ganze verliert – vor allem aber der unwiderstehliche Reiz der Tränen eines schönen Auges: dies alles drang so mächtig auf Jaromirs jugendliches, volles Herz ein, daß es gefangen war in dem purpurnen Netz, mit dem das liebliche Mädchen ihn umspann, noch ehe er es ahnte. Aus dem Zutrauen, welches sie ihm schenkte, schöpfte er eine ihm sonst unbegreifliche Kühnheit: es war ihm, als habe sie ihr ganzes Geschick in seine Hand gelegt, als sei er der Herr ihres Tuns und Wollens. Mit rasch aufflammender Glut preßte er seine Lippen auf ihre Hand und zog die scheu Widerstrebende näher zu sich heran. Seine glühende Wange berührte die gesenkte Alisettens. Er zitterte in süßer Lust der Liebe; auch sie bebte in seinem Arme, den er kühn um die zarte Gestalt schlang.
    »Süßes, holdes Wesen,« sprach er zärtlich leise, »sei meine Schwester, ich will dein Bruder sein. Trockne deine Tränen, lebe nicht mehr in bangem Schauer vor deinem Geschick; nun soll alles, alles vorüber sein.«
    »O Himmel, wie überschüttest du mich mit ungehofftem Glück«, rief Alisette und neigte sich wie überwältigt von der Macht ihrer Gefühle gegen den Freund und verbarg ihr holdes Antlitz an seiner Brust. Wie eine flüchtende, schüchterne Taube schmiegte sie sich an, und er hielt sie umfaßt, sich seiner Kraft, seines männlichen Schutzes stolz bewußt,
    »Du hast meine Braut später gesehen als ich«, sprach er nach einigen Minuten. »O, erzähle mir von ihr! War sie so traurig wie ihre Briefe?« Bei dem Worte Braut zuckte Alisette krampfhaft zusammen; ein kurzes, beklemmtes »Ach!« drängte sich aus ihrer Brust. »Die schöne Gräfin Lodoiska habe ich wenig mehr gesehen,« sprach sie mit mühevoll errungener Ruhe; »am Tage nach dem Abmarsch war sie auf dem Ball im sächsischen Palast, wo sie erscheinen mußte, um in dem Konzert zu singen.«
    »Auf dem Ball?« fragte Jaromir mit einer Betonung, die es deutlich ausdrückte, daß diese Nachricht ihm ebenso unerwartet als unangenehm war. – »Der Fürst Lichnowski führte sie.« – »Sie tanzte mit ihm?« fuhr Jaromir rasch auf. – »Mit ihm allein, aber wenig. Zumeist saßen sie in der Fensternische beisammen und sprachen. Sie fuhren auch früh nach Hause, denn der Fürst speiste den Abend noch bei der Gräfin.«
    Jaromir schwieg; eine dunkle Röte des Zorns überflog seine Wangen, doch unterdrückte er die finstere Wallung der

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