1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Biwak lag, und nahm daher diese Richtung durch die dunkeln Laubgänge. In wenigen Minuten stieß er auf die Mauer und fand nach kurzem Suchen eine Pforte, die nur von innen verriegelt war. Mit rüstiger Kraft schob er die eingerosteten Riegel zurück und stand in der Tat an der Stelle, wo er vermutete, kaum hundert Schritte von den Wachtfeuern seiner Leute. Dieser heimliche Pfad, der ihn zur Geliebten führen konnte, war ihm ein neues Pfand des Himmels, ein neuer Wink des Geschicks. Und blutete sein Herz gleich noch frisch an der Stelle, wo er die sanften Bande, die es bisher fesselten, gewaltsam zerrissen hatte, so fühlte er doch auch den lindernden Balsam, den die Hand des Schicksals ihm reichte.
Viertes Kapitel.
Als Bernhard ruhiger geworden war, und Rasinski und Ludwig mit Wärme in ihn drangen, erzählte er ihnen endlich, fast mit dem alten rauhen Humor, sein Abenteuer zu Warschau, seine seltsame Scheinverwechslung des Ringes. »So wäre ich denn mit einem neuen Titel beschenkt,« schloß er gezwungen scherzend; »ich könnte mich Bruder einer Unbekannten nennen, denn sie war jung und schön, das beteuere ich trotz dem Schleier, der sie einhüllte; sonst hätte es freilich auch meine Mutter sein können. Das Abenteuer wäre aber nicht halb so romantisch.« Noch niemals hatte Ludwig einen so tiefen Blick in das Herz des Freundes getan als jetzt. Bernhard, der mit selbstgenügender Kraft sich von allen Fesseln des Lebens und der Verhältnisse loszureißen wußte, dessen stolzes, kühnes Herz seine Freiheit höher zu schätzen schien als selbst die süßesten Bande der Liebe; er, der oft so rauh gegen die zarten Beziehungen des Daseins auftrat und ihnen mit einer Kraft, die Ludwig anstaunen mußte, stolz zurief: Geht, ihr habt mich nicht aufgesucht, geht, denn ich bedarf euerer nicht; die Gewohnheit allein zu stehen, hat mir die Kraft dazu gegeben. Ich bin mir selbst genug! Diese schroffe, gehärtete Felsenbrust brach und schmolz weich, ja vernichtet zusammen nur bei der Vorstellung, daß ein holdes Wesen, mit den sanften Banden der Verschwisterung an ihn gefesselt, dicht bei ihm vorübergestreift sei, ohne daß er es erkannt und an die unter der rauhen Hülle so warm glühende Brust gezogen hätte. Mit welcher Rührung betrachtete Ludwig in diesem Augenblicke den Freund, der das weichste liebevollste Herz mit einem ehernen Harnisch entsagender Willenskraft umpanzerte!
Freilich wußte er es längst, daß unter dem harten Marmor seiner Brust nicht ein hohles Grab, ein erkalteter Aschenkrug ruhe; allein diese Macht der innern, tief verborgenen Glut des Liebens hatte er weder gekannt noch geahnt.
»Seht ihr! Ein solcher Tor, ein solcher Träumer bin ich,« sprach Bernhard nach einer ernsten Pause; »auf solche Zeichen im Flugsande baue ich den babylonischen Turm meiner Luftschlösser! Lacht mich nur aus darüber, ich bitte euch; denn wenn man die Trauringe unsers Erdballs, was will ich, wenn man nur die einer einzigen Stadt, wie Moskau oder meinethalben Dresden, auf einen Haufen schüttete, so würden sich die Zwillingsbrüder dutzendweise finden, und ich könnte mir wenigstens so viel Mütter, Väter oder Geschwister vindizieren, als jener böhmische Graf, den man zu Dux abgebildet sieht, Söhne hatte, vierundzwanzig nämlich. Wenn ich's jetzt ruhiger ansehe, so muß ich beteuern, wäre nicht die Nacht und ein romantisches Abenteuer dabei gewesen, ich hätte nicht länger daran gedacht, als ich brauche, um den Ring aufzustecken und abzuziehen. Wir Künstler, ich zähle mich nun einmal dazu und halte Palette und Pinsel für mein rechtgültiges Diplom, sind aber häufig romantisch verrückte und entzückte Narren, und ich bin fast nicht der kleinste. Also, lacht mich aus, das ist die ganze Summe der Geschichte!« Aber es lachte niemand, Und selbst Bernhard vermochte es nur mühsam mit den Lippen.
»Ich bin entschlossen, zu handeln wie bisher«, sprach er nach einigen Minuten ernster Stille. »Will das Schicksal mir etwas von meinen geheimen Verhältnissen enthüllen, nun denn, so mag es sein; ich aber rühre nicht an den Schleier. Die ver hüllten Gestalten kann ich mir so reizend und holdselig träumen, als ich will; wer weiß, was die enthüllten mir für widerwärtige Gesichter zeigten! Jung und lieblich war das Wesen, das mir begegnete, das weiß ich gewiß; so will ich es denn als eine Schwester oder Halbschwester betrachten, denn sie könnte ja eine spätere Tochter und Erbin meiner Mutter sein. Unsere
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