1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
flüsternd an den Wänden widerhallte. Die Tür von seinem Zimmer zu dem, welches Bernhard bewohnte, stand offen; er blickte hinein. Bernhard war nicht dort. »Ich glaubte gleich, daß er nicht schlafen gehen würde«, dachte Ludwig für sich. »Gewiß trägt er sein volles Herz in Nacht und Einsamkeit hinaus! Wenn er sich nur nicht unvorsichtig mitten in die fremde Stadt wagt!« Bewegt trat Ludwig ans Fenster, wo er unten die Kameraden am Feuer im tiefen Schlaf liegen sah. Nur ein Offizier wachte noch und ging mit raschen unruhigen Schritten auf und ab; beim Schein der Flammen erkannte Ludwig, daß es Jaromir war. Um sich zu erkundigen, ob er nicht vielleicht von Bernhard wisse, ging er hinunter.
»Guten Abend, Freund, hast du Bernhard nicht gesehen?« fragte er Jaromir, der, ohne ihn zu erkennen, mit hastigen Schritten an ihm vorüber wollte. – »Was wollt ihr? Wer seid ihr?« Mit diesen Worten fuhr er befremdet, fast verstört bei der Anrede herum. »Ach Ludwig! Du bist es«, sprach er langsam im traurig gedämpften Ton, als er den Freund erkannte. »Du kommst mir gerade gelegen. Hast du Lust, einen Brief von Lodoiska zu lesen? Vor einer halben Stunde gab ihn mir Boleslaw, als ich von einem Spaziergange durch die Stadt zurückkehrte. Habt ihr auch Briefe gehabt?« – »Jawohl! wichtige, von der seltsamsten Art!« – »Von der seltsamsten Art ist dieser auch! Da lies ihn!« – »Du vergißt, daß ich nicht polnisch genug verstehe, Lieber; aber lies ihn mir vor.« – »Vorlesen! Ach!« Er seufzte schwer auf-und bedeckte sich Augen und Stirn mit der Hand, und strich mehrmals über sie hin, wie wenn er einen drückenden Kopfschmerz zu entfernen suchte.
»Bist du krank, Lieber?« – »Wüst! Das wüste Soldatenleben betäubt mich bisweilen! Vorlesen kann ich dir den Brief wahrlich nicht! Das Feuer blendet zu sehr, meine Augen schmerzen mich. Morgen früh vielleicht!« – »Du bist in sehr trauriger Stimmung, wie es scheint, Lieber«, sprach Ludwig sanft. »Hast du betrübende Nachrichten erhalten? Rasinski hat uns noch nicht das mindeste gesagt, obgleich er Briefe von seiner Schwester hat!«
»Von seiner Schwester! Was wird die ihm auch schreiben! Ach Ludwig! Ich wünschte, ich läge an der Redoute, wo unsere Kameraden ruhen!« – »Mein Gott,« rief Ludwig erschreckt, »was fehlt dir denn? Was schreibt dir Lodoiska? Erzähle mir wenigstens, wenn du nicht lesen kannst!« – »Nein, ich will lesen, und sollten mir die Augen darüber brechen!« So rief er heftig, zog einen Brief aus der Brust hervor, entfaltete ihn und zog Ludwig gegen das große Wachtfeuer hin, wo sich beide auf das Strohlager niederwarfen. Jaromir las:
»Mein einzig geliebter Freund! Endlich kehren wir in die Vaterstadt zurück! Noch wenige Minuten, und wir sind auf dem Wege nach Warschau; dann bin ich Dir, der Du stets ferner und ferner hinwegziehst, auch wieder um einige Tage näher! O mein Geliebtester, wann wird dieser schreckenvolle Krieg enden? Wann kehrst Du aus den entlegenen Öden, wohin Euch seine Stürme warfen, zu mir zurück? Wie liebevoll sollen diese Arme Dich empfangen! Ach, Jaromir, ich habe oft trübe, bange Stunden, wo ich wähne, daß ein düsteres Schicksal zwischen unser Glück tritt. Inbrünstiges Gebet zur heiligen Jungfrau ist dann mein einziger Trost. Alles, was die Gütigen, die mich umgeben, zu meiner Erheiterung tun, gleitet ab von meiner Brust; aber das Gebet dringt tief in das innerste Herz. Sei auch Du fromm, mein Teuerer; vergiß nicht im wilden Getümmel des Kampfes, in dem rohen Treiben des Krieges die heilige Stimme in der Brust, die uns demütig zu den Füßen des Allmächtigen, des Allgnadenreichen treibt. Denn wer soll Dich beschirmen in dem Ungewitter der Schlacht, wenn sich sein Antlitz von Dir wendet? Aber er verläßt keinen, der ihm sein kindliches Herz offen entgegenträgt. Lieber Jaromir! Deine reine, schöne, heitere Seele voller Jugend und Hoffnung, lege sie, so offen wie Du sie mir entfaltet hast, auch täglich dem himmlischen Vater dar. Spotte nicht der Schwachheit des Mädchens, welches Dich zu frommen Gebräuchen auffordert, weil es darin seinen einzigen Trost findet. Ich weiß wohl, daß der Mann sich stark dünkt, ohne göttlichen Beistand. Aber es ist eine Täuschung, Lieber! Vor ihm sind die Schwachen mächtig, denn sie stehen in seinem Schutz, und die Starken sinken hin, wenn sein Odem sie anhaucht. Stark, unüberwindlich fühle ich mich, wenn mich nach einem brünstigen Gebet die
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