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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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gefallen, doch schimmerte dafür in der Mitte des Platzes ein reiches Medaillon von Herbstblumen, unter denen ein Flor vielfarbiger Astern, die die Kunst des Gärtners besonders pflegte, sich auszeichnete. An der innern Seite des Flügels, die nach dem Hofraum und Garten sah, wohnten Marie und Lodoiska. Sie hatten sich wie Schwestern lieb gewonnen und sich daher auch äußerlich ganz dicht und vertraulich einander angeschlossen. An den Fenstern ihres Schlafzimmers, die dicht an dem Eisengitter lagen, welches sich quer von einem Flügel des Schlosses zum andern über den Hof zog und diesen von dem Garten trennte, rankte sich Weinlaub empor. Zwar reiften die Früchte selten an diesem Spalier; doch war das Gemäuer auf eine freundliche Weise durch das Laub verkleidet, und der Sonnenstrahl wurde durch das grüne bewegliche Gitter angenehm gedämpft, ohne ganz abgehalten zu sein. Von dem Schlafgemach ging man durch ein Bücherzimmer in das Arbeitszimmer, und dieses stieß an den Salon. Auf der andern Seite desselben wohnte die Gräfin in den Zimmern, die mit denen Lodoiskas und Mariens parallel liefen, aber durch einen Korridor davon getrennt waren. Auch diese sahen auf den Garten hinaus, aber nach der Seite der Ringmauer; auch war derselbe hier etwa nur dreißig Schritte breit, und der Raum mit hohem, dunkelm Gebüsch besetzt, welches die an der Seitengasse, wo Françoise Alisette gewohnt hatte, sich entlang ziehende Mauer verdeckte, die in einer Flucht von der Seitenwand des Hauptgebäudes auslief. Eine Reihe hoher Pappeln zunächst dieser Mauer benahm den Bewohnern der Gasse jede Aussicht auf den Garten und die Fenster der Gräfin. So lagen auch diese sehr still und abgeschieden; ja, durch das dunkle, dichte Gebüsch gewann die Wohnung etwas Düsteres, welches sehr wohl zu dem Ernst der Bewohnerin stimmte. Auf diese Weise mitten in der großen geräuschvollen Stadt ganz abgesondert, führten die drei Frauen ein stilles, nur unter weiblichen Beschäftigungen dahinfließendes Leben. Selten, daß sie einen Besuch empfingen, noch seltener, daß sie ihn erwiderten; ihre Einsamkeit wurde ihnen mit jedem Tage lieber, und sie genossen sie mit jedem Tage mehr, wo sie einander näher kennen lernten und inniger lieb gewannen. Kaum konnte unter drei Frauen eine größere Verschiedenheit bei einer so engen Gemeinschaft angetroffen werden. Die Gräfin, an Jahren vor den beiden Jungfrauen ansehnlich voraus, überragte sie ebenso an Kühnheit der Seele wie an Hoheit der Gestalt. Sie besaß zwar einen feinen, weiblichen Sinn und Verstand, doch ohne jene weichmütigen Neigungen, welche dem jungfräulichen Gemüt eigen zu sein pflegen. Unter großen Zeitbewegungen aufgewachsen, war sie früh aus der engen Beschränkung des weiblichen Lebenskreises in die größern Bahnen des Weltlaufs gerissen worden. Sie hatte das Vaterhaus mit dem Vaterlande vertauscht; ihre Seele lebte mit Anteil an allen öffentlichen Geschicken. Sie war mit Begeisterung eine Tochter ihres Volkes. Auch auf Marien hatten die mächtigen Begebenheiten des Tages einen bildenden Einfluß geübt; auch sie glühte für ein in der Unterdrückung schmachtendes Vaterland; doch ganz in anderer Weise. Die Gräfin nahm einen tätigen, geistigen Anteil an dem Öffentlichen; ihr Herz schlug schon aus Gewohnheit dafür und entbehrte den Verlust der häuslich weiblichen Stille des Gemüts nicht mehr. Daher las sie mit Eifer die Zeitungen, die politischen Schriften des Tages; sie war mit der Geschichte der Ereignisse vertraut, verfolgte sie mit Scharfblick, brachte ferne Geschicke mit denen ihres Vaterlandes in denkende Beziehung. Marie hingegen liebte nur ihre Heimat, das Volk, dem sie angehörte, über alles; sie war durch Sprache und Denkweise eine Deutsche. Ihr edler Haß richtete sich nur gegen die Feinde und Unterdrücker ihres Vaterlandes. Die übrigen Weltgeschicke beobachtete sie, nicht gleichgültig, aber aus jener scheuen Ferne, mit jener weiblichen Ehrfurcht, die da bekennt, daß hier ihr Reich ende, daß ihr Blick auf diesem Gebiete keine Grenze erkenne, in dem verworrenen Getümmel keinen Faden entdecke, der sie hindurchleiten könne. Darum kehrte sie gern in ihr häusliches, stilles Heiligtum zurück und war duldend, wo sie nicht handelnd sein konnte. Mit der Befreiung ihres Vaterlandes wäre ihr Anteil am öffentlichen Leben erloschen, oder wenigstens so in die Ferne zurückgetreten wie bei allen Frauen. Sie wollte aus dem Kampfe nur ein stilles Heiligtum deutscher

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