1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Bäume; ein leichter Wind rauschte in den Zweigen. Zarte Wolken schwebten durch den lichten, blauen Raum dahin. Marie, deren fein verstehender Sinn die Freundin schnell begriffen hatte, ging ihr nach, um sie zu beruhigen; denn beim traulichen Gespräch in der Stunde vor dem Einschlummern hatte Lodoiska ihr oft das Herz geöffnet und sich selbst ihrer Überwältigung durch die Liebe angeklagt, ohne Mariens Trost annehmen zu wollen, die wahrhaft eine hohe, seltene Kraft des Gemüts in dieser Stärke der Leidenschaft erkannte. Als Lodoiska aber den Springbrunnen erreicht hatte, wo sich ihr Bund mit Jaromir geschlossen, trat Marie an sie heran, legte den Arm um ihren Nacken, küßte sie auf die Wange und sprach: »O, ich wollte, du hättest meinen Namen, Liebe!« – »Ich wollte, ich hätte dein sanftes, starkes, beherrschtes Herz, Teuerste«, entgegnete Lodoiska und trocknete sich die Tränen ab. »Aber weshalb wünschest du mir deinen Namen?« – »Um dir sagen zu können, Maria hat das bessere Teil erwählt.« – »Ja, ja, das hat sie«, rief Lodoiska heftig aus, und neue Tränen brachen aus ihren dunkeln Augen hervor. »O, ich fühle es nur zu gut, ich bin liebeskrank, und mein Glück wird eine Qual, wird ein Vergehen!«
»Nein, nein, wahrlich nicht«, erwiderte Marie. »Für das Edle darf man ganz entbrennen; ich bewundere dich, die du es ganz vermagst. Glaube mir, unsere Ruhe liegt nicht in unserer großen Stärke, sondern in der geringern Kraft unserer Liebe. In meinem Herzen konnte ich Mutterliebe, Bruderliebe, Vaterlandsliebe rein abwägen, bis – –« Hier schwieg sie; denn von ihrer bekämpften Leidenschaft zu Rasinski hatte sie mit der Freundin noch niemals gesprochen, weil das Geheimnis ihr nicht allein gehörte, und weil sie empfand, daß sie sich eines sittlichen Sieges nicht rühmen durfte, ohne ihn zu verlieren. Und war sie denn Siegerin? Erneuten sich die Kämpfe in ihrer Brust nicht oftmals in einsamen Stunden der Nacht? Und flossen dem verlorenen Glück nicht noch immer ihre Tränen?
»Bis?« fragte Lodoiska, als Marie innehielt. – »Nun ja denn,« sprach diese verwirrt, »auch ich habe geliebt. Einen Augenblick lang! – Die junge Pflanze wurde durch den rauhen Sturm der Zeit schnell entwurzelt; sie konnte nicht die Blüte entfalten, weder eine volle Krone, noch tiefe Wurzeln treiben. Doch selbst dieser flüchtige Augenblick, kürzer als ein Traum, brach fast die Kraft der ältern, heiligen Bande der Liebe und Pflicht. Und dennoch fühlte ich mich größer, edler, besser durch die Liebe. Wahrlich, es ist ein Großes, wenn man es vermag, alles in ihr und durch sie zu sein. Darum kümmere es dich nicht, Beste, daß du geringere Kräfte und Pflichten durch diese höhern in dir aufgelöst und vernichtet fühlst. Wenn wir festern Widerstand leisten, wer sagt dir, daß deshalb eine größere Stärke in uns wohnt? Wir widerstehen wohl nur, weil wir nicht so mächtig erschüttert werden. Kleine Seelen können ein hohes Maß der Liebe nicht fassen. Darum schätze du deine Seele nach der Kraft deines Liebens!«
»Du tröstest so holdselig,« erwiderte Lodoiska bewegt; »du willst wie ein duftendes Veilchen in stillen Schatten zurücktreten, wo du glänzen dürftest! Meine Liebe ist stärker als ich selbst! das ist mein Vergehen, und oft ahnt mir, als werde sich's fürchterlich strafen. Steht denn nicht die Pflicht höher als die Liebe?«
»Aber welche hättest du verletzt?« – »Ich fühle, daß ich jede verletzen würde.« – »Dies Gefühl täuscht dich; nur jede niedere würde dir gegen diese eine, höhere, verschwinden.« – »Nein, mir verschwindet der Blick, die höhere zu erkennen!« – »Du wirst sie gewiß klar vor dir sehen, wenn ihre Erfüllung von dir gefordert wird, und wenn es höhere Pflichten für dich gibt! Die Welt kann sie vielleicht verlangen; aber ist es nicht ein Eigennutz der Welt? Muß dein Handeln denn das Gesetz für alle sein? Besondere Kräfte geben besondere Pflichten. Ich habe jenen Römer stets verehren müssen, der es frei vor den Richtern aussprach: Das Kapitol würde ich angezündet haben, wenn es mein Freund gefordert hätte. Wenn ich nicht selbst so handeln würde, so fragt es sich doch, ob es mein Verdienst oder meine Schuld zu nennen wäre. Ist Liebe, ist Freundschaft wirklich so groß, wer darf es ihr zum Vorwurf machen? – Das Verbrechen, das sie auf sich ladet, ist dann keins mehr! Hier, Liebe, waltet kein kaltes, für alle gleiches Gesetz, sondern
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