1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
den er jetzt auch mutmaßlich fortführen wird.« – »Ich werde das Nötige seinethalben anordnen.«
Ein grauköpfiger Soldat von etwa sechzig Jahren, der Uniform und Bart gleich einem Russen trug, aber in seiner Gesichtsbildung einem Deutschen glich, näherte sich ehrfurchtsvoll dem Grafen und tat demselben, tief gebeugt, eine Frage. »Immerhin,« erwiderte dieser; »wenn du einen Landsmann gefunden zu haben glaubst, Solanow, so rede ihn an.«
»O mein Herr,« wandte sich jetzt der Alte in deutscher Sprache zu Ludwig, »vergeben Sie mir eine Frage. Ich bin ein Deutscher, aber seit langer Zeit aus meinem Vaterlande. Ich glaube in Ihnen eine Ähnlichkeit zu entdecken. Sollten Sie vielleicht Sternfels heißen?« – »Wie?« rief Ludwig heftig zitternd, mit äußerstem Erstaunen, da der Alte den Namen aussprach, den er nur durch Mariens Brief kannte und noch kaum zu führen wagte; »weshalb?« – »Ich diente einem deutschen Herrn dieses Namens,« sprach der Alte bewegt; »er ist zwar längst tot, aber wenn ich sein Ebenbild so vor mir sehe, wie–« – »Wo starb er?« rief Ludwig, den Greis hastig unterbrechend.
»Die See hat ihn verschlungen. Wir saßen eines bösen Handels wegen in Paris gefangen; doch es gelang uns, nach dem Havre zu flüchten und auf ein holländisches Schiff zu kommen.« – »Wann?« fragte Ludwig und hielt kaum noch an sich. – »Vor achtzehn Jahren.« – »Wegen eines Duells?« – »Allerdings.« – »Das war mein Vater!« rief Ludwig jetzt außer sich und ergriff die Hände des Greises, der zitternd, unschlüssig vor ihm stand. »Und wer bist du?«
»Ein schlichter Mann, lieber Herr,« sprach der Alte, und Tränen rollten aus seinen Augen; »ich war nur sein Reitknecht, Willhofen heiße ich.« – »Redlicher, treuer Diener,« rief Ludwig, »und hier finde ich dich? Und mein Vater ist wirklich tot?« – »Schon längst! Wir litten Schiffbruch in der Nordsee; das Meer verschlang die meisten. Einige, darunter ich, wurden gerettet; der Kapitän eines russischen Schiffs nahm uns auf.« Hier stockte der Alte und deutete mit einem scheuen Blicke seitwärts an, daß er nicht zu sprechen wagen dürfe. Ludwig aber ahnte das Los des Unglücklichen.
Dolgorow war indessen zu den übrigen Gefangenen getreten und hatte sie gemustert. Sie standen zitternd in einer langen Reihe vor ihm; die meisten waren junge Soldaten. »Sind Deutsche unter euch?« fragte er laut.
Ludwig hörte es und blickte hin; er harrte auf die Antwort, weil er fühlte, daß es seine Pflicht sei, die Rettung seiner Landsleute zu versuchen. Es blieb still. »Solanow!« rief der Graf, und dieser eilte, zu gehorchen. »Hier die Leute, die ich dir übergeben werde, sollen mit auf das Jagdschloß geführt und von dort weitergebracht werden. Sie sind noch zur Arbeit tauglich. Für die Übrigbleibenden hat Rußland keine andere Nahrung als zwei Lot Blei.«
Es waren einundzwanzig Gefangene. Nur einer blieb, als zu alt zur Arbeit, zurück, um den Tod zu empfangen. Es war St.-Luces. Da er nicht verstanden hatte, was der Graf sagte, so glaubte er, man habe an seiner Haltung, Wäsche und der ihm freilich meist geraubten Kleidung erkannt, daß er zu den höhern Ständen gehöre. Das bleiche Entsetzen, welches seit Beaucaires Schicksal seine Züge bedeckt hatte, wich einem Anflug der Hoffnung. Er wagte es daher jetzt, den Grafen anzureden, und sprach französisch: »Ich hoffe, mein Herr, auf die Gesetze, welche alle Völker sogar im Kriege ehren, Anspruch machen zu dürfen. Ich bin nicht Soldat, sondern gehöre zur Zivilverwaltung, mein Rang –«
»Ihr seid ein Blut und Mark aller Völker aussaugender Franzose,« entgegnete Dolgorow finster, »verächtlicher und abscheulicher als der Soldat, denn der kämpft mit offener Waffe, aber die eurige ist das Gift!« – »Man würde,« versuchte St.-Luces noch einmal zitternd seine Sache geltend zu machen, »mich sehr bereitwillig gegen gefangene Offiziere auswechseln!« – »Gefangene? Habt ihr denn auch Gefangene?« rief Dolgorow wild und mit Hohn zugleich. »In euern Bulletins stehen freilich Tausende; aber wo könnt ihr sie aufweisen? Und woran erinnert ihr mich? Wissen wir etwa nicht, wie eure ruchlosen Mörderbanden mit den wenigen umgegangen sind, die in ihre Hände fielen? Wähnt ihr, wir hätten sie nicht gefunden, wie sie mit zerschmettertem Schädel die Landstraßen bedeckten? Trafen wir sie nicht eingesperrt in Kirchen, Ställen, Scheunen, wo der Hunger sie zu Tode gefoltert
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