1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Unablässig forschte ich nach Ihren Spuren, bis mir in Deutschland ein unglückseliges Blatt –«
»Hat mein Abschiedswort Sie also doch erreicht?« fiel Feodorowna freudig bewegt ein. – »Es war der bitterste Kelch, der mir je aus holdseliger Hand gereicht wurde.« – »Das Geschick hat ihn gemildert, wir wollen dankbar sein«, erwiderte Feodorowna, und eine fromme Rührung bewegte ihre Stimme. »Ich glaubte nicht, daß es uns wieder zusammenführen würde; doch eine höhere Hand leitet die Fäden, an denen unser Leben schwebt.« – »Wahrlich, eine wunderbar waltende Macht!« rief Ludwig in überdrängender Wallung aus. »O wüßten Sie, wie nahe ich Ihnen indessen schon gewesen!«
Bianka sah ihn verwundert an. »In Moskau meinen Sie?« – »Nein, unfern von hier – ich war bei dem Erstürmen jenes Schlosses dort.« – »Sie selbst?« rief sie und sah ihn mit zweifelnden Blicken an; dann hob sie Auge und Hände gen Himmel und sprach aus innerster Seele: »O allgütiger Vater im Himmel, wie durfte ich nur einen Augenblick an deiner Huld verzagen! O, Sie wissen nicht,« wandte sie sich gerührt wieder zu Ludwig, »Sie ahnen nicht, von welchem unseligen Geschick Sie mich erlösten! Doch,« fuhr sie eilig und leise fort, »verschweigen Sie um des Himmels willen, daß Sie Anteil an dem Kampf in jener Nacht hatten; denn man würde es Ihnen nimmer vergeben!«
Unter diesem Gespräch waren sie an die Hütte gekommen. Feodorowna trat zuerst ein; Ludwig folgte. Auf einem Ruhebett erblickte er, in Pelze gehüllt, die Gräfin Dolgorow, deren Züge, obwohl ein Ausdruck der Krankheit und der Leiden sie entstellte, er sogleich wiedererkannte. Sie sah ihn nicht mit Freundlichkeit, sondern mit Herablassung an. »Es freut mich,« sprach sie gemessen, »daß wir Ihnen den Dienst, den Sie uns in Italien geleistet, zu vergelten Gelegenheit finden, wiewohl es mich betrübt, Sie unter denen zu treffen, die den Krieg in unser Vaterland trugen.« – »Ich glaube mich darüber schon gerechtfertigt zu haben, gnädigste Gräfin«, erwiderte Ludwig mit einigem Stolze. – »Sie könnten jetzt Gelegenheit finden, die Schuld des Schicksals auszugleichen. Gott hat die Heere der Feinde geschlagen; das Verderben bricht über sie herein; die gerechte Sache siegt. Es steht jetzt nur bei Ihnen, teil an dem Kampfe zu nehmen.«
Ludwig schwieg einige Augenblicke, dann antwortete er ruhig und entschlossen: »Sie werden mir gestatten, Ihnen auf dieses Ansinnen eine meine Entschlüsse rechtfertigende Antwort zu erteilen. Ich selbst halte Rußlands Sache für eine gerechte; nur mit innerm Widerstreben habe ich an dem Kampfe dagegen teilgenommen. Ich tat nicht mehr, als die Ehre des Mannes, des Soldaten, der sich einmal zu einer Fahne gestellt hat, von mir forderte. Ein einzelner, vermochte ich dem Strome der Weltereignisse nicht zu gebieten, noch ihm zu widerstehen; dies spricht mich von persönlicher Verantwortung gegen dieses Land frei. Vielleicht wünschte keiner in dem ganzen Heere den Krieg; darum soll auch der einzelne das allgemeine Unrecht weder vertreten, noch entgelten, noch kann er es verhüten. Dem edeln Führer, unter dessen Schutz ich mich begeben, meinen nächsten teuern Waffengenossen, war meine Gesinnung nicht fremd. Aber sie ehrten sie und übten eine so zarte Schonung, daß sie mich jeder Pflicht zu entheben suchten, die meinem Herzen schwer werden konnte. Ich selbst mußte dagegen ankämpfen, um nicht einen schimpflichen Verdacht auf meine Ehre, meinen männlichen Mut zu laden. Was Freundschaft, was brüderliche Liebe Wohlwollendes ersinnen kann, ward mir von meinen Waffengefährten. Jetzt werden Sie, ich bin es überzeugt, nicht mehr verlangen, daß ich sie treulos verrate und selbst die Waffen zu ihrer Bekämpfung ergreife. Zwänge eine heilige Pflicht für mein eigenes Vaterland mich dazu, so müßte ich ihr freilich gehorchen; und dennoch würde ich mit noch schwererm Herzen in einen solchen Kampf ziehen als in den gegen Rußland. Denn wie die großen Massen des Ganzen einander gegenüberstehen mögen, der einzelne trifft doch nur auf den einzelnen, und ich würde lieber das Schwert auf mich selbst zücken als gegen die edeln, teuern Freunde, mit denen ich bisher Gefahren und Drangsale geteilt habe.«
Die Gräfin schien empfindlich über Ludwigs freie, feste Entgegnung, doch in Feodorownas Auge glänzte eine heilige Freude und Rührung über die adelnde Gesinnung dessen, zu dem ihr Herz sie mit süß überwältigender
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