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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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gerade entgegenfahren. Es bleibt uns nichts übrig, als unbemerkt, einzeln, zu Fuß die Stadt zu ver- lassen und unsern Weg gerade ins Gebirge zu richten. Nehmen Sie also das Unentbehrlichste zu sich, Frau Gräfin, und verlassen Sie sofort mit der Frau Margarete die Stadt. Sie nehmen ihren Weg dem Tal entlang, die Rhone aufwärts, am linken Ufer derselben. Im Hereinfahren habe ich gesehen, daß ein sehr betretener Pfad sich dem Fluß entlang zieht, der ihn ohne Zweifel das Tal hinaufbegleitet. Etwa eine halbe Stunde von hier erwarten Sie mich an irgendeiner buschigen, bedeckten Stelle des Ufers, von wo Sie jedoch den Weg nach der Stadt übersehen können, damit wir uns nicht verfehlen. Ich werde das Haus gerade nach einer entgegengesetzten Seite verlassen; der Herr Graf muß scheinbar einen dritten Weg einschlagen, damit es möglichst verborgen bleibt, wohin wir uns gewendet haben. Wenn wir erst wieder beisammen sind, werden wir wohl Führer finden, die uns über das Gebirge leiten, und vielleicht lassen sich zur Erleichterung der Reise auch Maultiere anschaffen.«
    Paul sprach diese Worte so entscheidend, daß sie fast Befehlen gleichklangen; indessen war sein Rat so gut, daß man ihm schon um seiner Zweckmäßigkeit willen unbedingt hätte gehorchen müssen. Ludwig verwunderte sich über die kalte, gewandte Entschlossenheit des alten Mannes und seinen klaren, scharfen Ausdruck. Er schien diese Entschiedenheit des Geistes auch auf seine Umgebungen überzutragen; denn selbst Bianka zeigte bei aller ihrer Ängstlichkeit eine Entschlossenheit und Bestimmtheit, die in Erstaunen setzen mußte. Sie nahm ihre Papiere, ihre Brieftasche und einige andere Kleinigkeiten zusammen, während Margarete die unentbehrlichsten Kleidungsstücke hervorsuchte und einiges in einen leichten Arbeitsbeutel, anderes in ein Körbchen tat und endlich noch manches in ihrem und der Gräfin hohen Hut verbarg. In weniger als fünf Minuten verließen beide Frauen reisefertig das Zimmer. Das Stubenmädchen begegnete ihnen auf dem Gange. Bianka führte sie an ein Fenster, das nach der Gegend von Sion, gerade der entgegengesetzten Richtung, in der sie flüchten wollten, hinaussah, und fragte, indem sie auf einen nahen Hügel deutete: »Wie weit ist es bis auf die Spitze jenes Hügels? Können wir wohl vor Abend noch einen Spaziergang machen?« –»Wenn die gnädigen Damen gut zu Fuß sind, geht es noch an; aber es ist eine gute Stunde«, erwiderte das Mädchen. – »So werden wir erst mit der Dunkelheit, vielleicht auch wohl noch später zurückkehren,« antwortete Bianka; »sorge dann nur, daß unser Zimmer in Ordnung ist, mein Kind.«
    »Werden Ihro Gnaden auf dem Zimmer speisen?« fragte das Mädchen. – »Jawohl; drei Kuverts; aber erst um neun Uhr«, lautete Biankas Antwort, und hierauf schwebte sie an der Seite der Begleiterin die Treppe hinab. Ludwig rief ihnen absichtlich laut nach: »Viel Vergnügen, liebe Schwester, aber ich teile deine Neigung nicht; wenn ich nicht lieber ganz zu Hause bleibe, werde ich mich doch wenigstens mit einem nähern Spaziergange begnügen.«
    Hierauf lehnte er sich ins Fenster und sah, welche Richtung sie einschlugen. Noch fünf Minuten wartete er, dann nahm auch er zusammen, was er für das Unentbehrlichste hielt, und verließ nun, ein Liedchen pfeifend, das Haus nach der andern Seite, als wollte er nur eben müßig einen Weg durch die Gassen schlendern. Zwar sah er sich im Hinuntergehen nach Paul um, wurde desselben jedoch nicht gewahr. Wenige Schritte vom Hause begegnete ihm der Hausknecht. Diesem trug er auf, die Bestellung an Paul zu machen, daß er noch einmal zum Schmied und Rademacher gehen sollte, damit der Wagen noch vor Abend fertig werde, denn er wolle jedenfalls nach dem Nachtessen abreisen. Der Hausknecht antwortete: »Der Kammerdiener läßt nur hier unten in der Gasse das Uhrglas für den Herrn Grafen einsetzen; wenn er von dort zurückkommt, will ich's ihm sogleich bestellen.« Ludwig wußte nun wenigstens, daß Paul auch unter einem geschickten Vorwande bereits das Haus verlassen habe.

Fünftes Kapitel.
    Mit schlagendem Herzen gelangte er ins Freie und sah sich nun um, wie er am besten und unbemerktesten den bezeichneten Weg erreichen könnte. Es war nicht ganz leicht, denn eine Wendung der kleinen Gasse, der er gefolgt war, hatte ihn an eine ganz entgegengesetzte Seite des Örtchens geführt. Der Querweg, den er einschlug, war von Gärten rings umgeben, er konnte nicht einmal die Rhone

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