1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
alles sie liebt und lieben muß!« rief es in Ludwigs innerster Seele, als er sie jetzt an den Wagen begleitete und die sanfte Rührung ihres schönen Antlitzes wahrnahm.
In raschem Trabe rollte man die fast ebene Straße dahin, denn der neue Postillon, welcher Zeuge gewesen war, wie reichlich Paul den alten und die helfenden Landleute im Namen seiner Herrschaft beschenkt hatte, machte sich gleichfalls Hoffnung auf ein gutes Trinkgeld. So erreichte man denn Brieg, im Kanton Wallis, in wenigen Stunden, aber doch nur mit genauer Not, denn der Wagen wollte kaum bis dahin aushalten, so daß man zuletzt schon aus Furcht vor einem neuen Unglück langsam fahren mußte.
Im Wirtshause angelangt, war es Ludwigs erste Sorge, die Herstellung des Wagens zu betreiben. Ein Schmied und Rademacher wurden gerufen; sie erklärten, daß mindestens vier Stunden darüber vergehen müßten. Bianka hätte gern den Wagen mit einem andern vertauscht; allein in dem ganzen kleinen Städtchen war kein Reisewagen zu haben, und der Eintausch eines andern gegen den vortrefflich eingerichteten, dessen man sich bediente, würde Argwohn erregt haben, der gefährlicher werden konnte als selbst eine Verzögerung. Man mußte sich daher begnügen, durch Versprechung einer reichlichen Zahlung die Tätigkeit der Handwerker zu beleben.
Bianka bezog mit Margareten gemeinschaftlich ein Zimmer, Ludwig das daranstoßende. Paul blieb unten in der Gaststube, wo er sich müde auf einen Lehnsessel niederließ. Er hatte einen Arzt holen lassen, der ihm die blutende, schmerzende Stirn verband. Seine Kräfte schienen sehr erschöpft; in dieser Beziehung waren daher einige Stunden Ruhe vielleicht notwendig, wenn man das Leben des schon ziemlich bejahrten Dieners nicht gefährden wollte.
Ludwig, der, so sehr auch sein Hang ihn dazu trieb, es für unschicklich und zudringlich hielt, zu den Frauen hinüberzugehen, die gewiß der Ruhe bedurften, wollte die Stunde der Muße benutzen, um die Erlebnisse dieser letzten Stunden in sein Tagebuch einzutragen. Da bemerkte er mit Schrecken, daß er seine Brieftasche, deren Blätter er auf diese Weise zu füllen pflegte, verloren habe. Er entsann sich ganz deutlich, noch kurz vor Brieg im Besitz derselben gewesen zu sein, und konnte sie nur hier im Hause oder auf dem kurzen Weg bis dahin verloren haben. Da alles Nachsuchen in seinem Zimmer und Nachfragen bei dem Wirt vergeblich war, beschloß er, den freilich nicht sehr hoffnungsvollen Versuch zu machen, sie auf der Landstraße aufzusuchen, indem für ihn wichtige Papiere darin enthalten waren. Er erreichte den Ausgang des Städtchens, ohne sie zu finden, und ging nun auf der Chaussee fort. Jetzt bemerkte er erst, daß die Stelle, die ihm beim Hereinfahren so nahe an der Stadt zu liegen schien, doch eine ganze Strecke entfernt war. Er ging eine volle Stunde im raschesten Schritt vorwärts, ohne etwas zu finden. Schon gab er die Hoffnung auf, als ihm in der Ferne etwas Rotes auf dem Rasen entgegenglänzte; er eilte darauf zu und fand in der Tat das verlorene Gut wieder. Freudig eilte er nun nach der Stadt zurück. Etwa eine Viertelstunde mochte er noch von derselben entfernt sein, als er hinter sich den Hufschlag eines Pferdes hörte. Er wandte sich um und sah einen Reiter, welcher in vollem Galopp heransprengte. Kaum einige hundert Schritte dahinter erblickte er einen von einem andern Reiter begleiteten Wagen, der eben um die Ecke bog, welche durch die Windung der Chaussee entstand, und hierauf mit ungewöhnlicher Schnelligkeit die Straße herabkam. Dies fiel ihm auf. Er hatte aber noch nicht so viel Zeit gehabt, um seine Vermutungen sich selbst klar zu machen, als schon der erste Reiter dicht an ihm war und ihn französisch anrief: »Sind Sie aus Brieg, mein Herr?«
»Das nicht,« erwiderte Ludwig; »ich bin ein Reisender und habe nur soeben einen Spaziergang vor die Stadt gemacht.«
»Können Sie uns nicht sagen, ob ein Wagen, mit vier Pferden bespannt, in welchem zwei Damen und ein Herr, auf dem Bock aber ein Bedienter saß, dort angelangt ist?«
Ludwig wollte eben nein! antworten, als der Reisewagen heranrollte und anhielt. Ein Mensch, der in Begleitung eines französischen Offiziers in demselben saß, beugte sich heraus und wiederholte dieselbe Frage. Dies verschaffte Ludwig, der sogleich den Zusammenhang dieser Nachforschungen mit dem Schicksal Biankas ahnte, Zeit, sich auf eine die Gefahr ableitende Antwort zu besinnen. Er erinnerte sich, daß das Posthaus ganz vorn im
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