1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Orte lag, und man also die Pferde wechseln konnte, ohne bis an das Wirtshaus zu fahren. Rasch erwiderte er daher: »Allerdings ist ein solcher Reisewagen hier eingetroffen, aber schon vor mehreren Stunden. Es war, glaube ich, eine Achse gebrochen, die hier erst gemacht worden ist. Doch vor etwa einer guten Viertelstunde, gerade als ich die Stadt verließ, fuhren auch diese Fremden wieder ab!« – »Teufel!« rief der Mensch im Wagen; »welche Straße nahmen sie?«– »Die einzige, die sie nehmen konnten, über Sion nach Genf,« erwiderte Ludwig; »ihr seht sie dort unten an der Rhone hinlaufen.«
»Kann man nicht hier querüber fahren?« fragte der Reisende hastig. »O ja,« nahm der Postillon das Wort für Ludwig; »dort unten kann man gleich links abbiegen, und wenn Euer Gnaden sich nicht scheuen, durch eine Furt der Rhone zu fahren, wo Ihnen das Wasser jedoch etwas in den Wagen kommen könnte, so ersparen wir eine starke halbe Stunde Weges, ohne die Stadt zu berühren. Wenn Euer Gnaden mir diesen Weg erlauben wollen, so getraue ich mich die Reisenden noch einzuholen, denn sie müssen jetzt gerade in dem Gebüsch dort unten sein, weil man sonst von hier den Wagen auf der Landstraße sehen müßte.« – »Ist der Seitenweg gefährlich?« – »Ei behüte, nur ein wenig holperig; in einer Stunde spätestens haben wir die Reisenden eingeholt, wenn Euer Gnaden es nur verantworten wollen, daß ich die Station überfahre.«
»Ich stehe für alles,« rief der Offizier im Wagen, »und überdies bleiben die zwanzig Napoleondors, die ich dir versprach, wenn wir die Flüchtigen vor Brieg einholen würden, dein. Nur rasch vorwärts!« Der Wagen jagte davon, die Reiter sprengten nebenher.
Ludwig war fast erstarrt vor Schrecken; doch es blieb keine Wahl, was er zu tun hatte. Mit größter Hast eilte er zurück, um die Frauen zu benachrichtigen. Schnellern Laufs als selbst der Wagen erreichte er das Gasthaus wieder und stand, kaum seiner bewußt, in Biankas Zimmer. »Mein Himmel, was ist Ihnen?« fragte sie, als sie seine Bewegung und Erhitzung sah. Atemlos begann er zu erzählen, was ihm begegnet war.
»Barmherziger Himmel,« rief sie, ihn unterbrechend, »so sind wir verloren! Wie sah der Reisende aus? Hatte er nicht schwarzes Haar und Augen, ein bleiches Gesicht, sehr weiße Zähne?«
»Es schien mir so,« antwortete Ludwig, »doch war er so eingehüllt, daß ich sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnte; auch gestehe ich, darauf nicht sonderlich gemerkt zu haben, da die Sache selbst mich so in Bewegung brachte; aber hören Sie weiter!« Er berichtete jetzt, durch welche seltsame Verkettung der Umstände die Verfolger von der Straße abgeleitet worden.
»Gott sei es gedankt!« rief Bianka aus und schloß ihre Begleiterin bewegt ans Herz. »O, Sie sind unser Schutzengel!« sprach sie mild, indem sie sich zu Ludwig wandte und ihm die Hand darreichte. »Doch wir haben keinen Augenblick zu verlieren!« Hiermit stand sie auf und schellte eilig nach Paul.
»Zwei Stunden bleiben uns wenigstens,« rief Ludwig, »bis sie ihren Irrtum bemerken, denn in einer Stunde gedachte der Postillon erst das Ziel seines Bestrebens zu erreichen. Er wird sich von einer Minute zur andern weiter locken und täuschen lassen und vielleicht gar auf die nächste Station fahren. Alsdann können sie vor der einbrechenden Nacht nicht zurück sein, und bis da- hin schaffe ich mit Gottes Hilfe Rat.«
Bianka zitterte heftig; sie wies Ludwigs unterstützenden Arm, der sie zu einem Sessel geleitete, nicht zurück. »Gott hat uns so wunderbar beschirmt,« sprach sie, als sie sich erholt hatte, beruhigter, »daß ich auch jetzt fest auf ihn vertraue. Sie wurden zum zweitenmal unser Retter. Ohne den Zufall, der Sie wieder auf die Landstraße führte – etwas, das sonst die größte Gefahr für uns haben konnte –, waren wir unwiederbringlich verloren. Aber der Allgütige ist sichtbar mit uns!« Dabei richtete sie einen unbeschreiblichen Blick, in dem die Träne des gerührten Dankes mit der Angst zusammenschmolz, gen Himmel.
Paul war heraufgekommen. Margarete zog ihn sogleich auf die Seite und sprach einige Worte leise mit ihm, worauf der alte Diener erschreckt und erblassend zurücktrat. »Wir müssen auf der Stelle fort,« rief er aus; »hier gibt es kein anderes Mittel. Die Herstellung des Wagens können wir nicht abwarten, auch würde sie uns nichts nützen, da wir keine andere Straße ein- schlagen könnten als die, auf der wir unserm Verfolger
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