1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Augenblicke mit bangem, trauerndem Herzen unten vorübergeschritten, während er droben in tödlicher Angst stand und nichts hörte als den tobenden Strom, der hier wild durch das steile Geklüft brach. Der Weg wurde sehr beschwerlich, ja, bei der immer tiefer dunkelnden Nacht gefahrvoll. Denn er klimmte bald steil an den Felswänden hinauf, bald senkte er sich jäh wieder abwärts. Ludwig freute sich fast dieser Gefahren und Mühseligkeiten, weil er hoffte, Bianka werde dadurch so aufgehalten worden sein, daß er sie bald erreichen müsse. Mit rüstiger Kraft drang er vorwärts, obwohl seine Hände bluteten, und auch die von dem hastigen Lauf glühend brennenden Füße ihn bei jedem Schritte heftig schmerzten. Eine volle Stunde dauerte dieser beschwerliche Weg; da zog er sich entschieden die Höhe hinan, und bald sah sich Ludwig auf dem Rücken eines Hügels, wo jedoch die Spur des Pfades ihm teils auf felsigem Gerüll, teils in niedrigem Büschwerk verschwand. Jetzt faßte ihn die Angst der Ungewißheit aufs neue; denn wie leicht konnte er hier vollends die Richtung verfehlen und bei der Wildheit des Tales in ganz unwegsame Gegenden geraten! Zwar tröstete ihn der Gedanke, daß die Hauptrichtung des Weges keine andere sein konnte, und er daher vielleicht am nächsten Morgen einzubringen imstande war, was er heute versäumte; doch welche Pein der Besorgnis mußte er bis dahin erdulden! Etwas war jedenfalls gewonnen, wenn er soviel als möglich vorwärts eilte; er behielt daher im allgemeinen, so gut es sich tun ließ, die Richtung bei und gönnte sich nicht Rast noch Ruhe. Abermals verging eine Stunde. Da schimmerte ihm ein Licht entgegen; er war einer Hütte nahe, der ersten menschlichen Wohnung, die er bis jetzt auf seinem Pfade angetroffen hatte. Ein süßes Gefühl der Ahnung sagte ihm, dort werde er die Geliebte treffen, denn weiter konnte ihr schwacher Fuß sie unmöglich geführt haben. Hastig ging er dem freundlichen Glänze des Lichtes entgegen; in wenigen Minuten hatte er das Haus erreicht. Er pochte. »Wer ist da?« ließ sich eine rauhe männliche Stimme vernehmen, und zwei schwere Holzschuhe klappten im langsamen Takte auf dem Boden heran. – »Ein verirrter Wanderer«, entgegnete Ludwig. – »Schon gut, Freund, ich werde gleich öffnen«, antwortete es drinnen.
Sein Herz schlug heftig in der atemlosen Brust; jede Sekunde, die bis zum Öffnen der Tür verging, spannte ihn auf eine unbeschreibliche Folter der Angst. Der Riegel wurde endlich zurückgeschoben, und ein Greis mit silberweißem Haar und Bart stand, von einem flammenden Holzspan, den er in der Hand hielt, seltsam beleuchtet, vor ihm und hieß ihn freundlich willkommen.
»Habt ihr keine andern Gäste bei euch, guter Vater?« fragte Ludwig.
»Keine Seele,« erwiderte der Greis; »wer sollte auch hierher in die Wildnis zu mir armem, altem Manne kommen! Ich fürchte nicht einmal böse Gäste, denn bei mir ist nichts zu finden, was einen habsüchtigen Sinn reizen könnte. Aber wer seid ihr, lieber Herr, und wie kommt ihr so spät in der Nacht noch hierher?«
Es dauerte einige Augenblicke, bevor Ludwig, von seiner nun völlig fehlgeschlagenen Hoffnung fast betäubt, zu antworten vermochte. »Ich bin im Gebirge verirrt; ich bin von den Meinigen, um die ich noch in der größten Sorge schwebe, abgekommen. Sie wollten von Brieg aus das Tal an der Rhone hinauf, ich folgte ihnen nach und bin, ohne eine Spur von ihnen zu treffen, hier endlich auf die erste menschliche Wohnung gestoßen, wo ich sie durchaus vermuten mußte, da meines Wissens nirgends ein Weg zur Seite möglich war!« –»Doch, doch,« erwiderte der Greis; »der Hauptweg im Tale führt am andern Ufer der Rhone entlang; aber ihr habt vermutlich in der Dunkelheit den Steg, der über das Wasser leitet, nicht bemerkt. Dieser Pfad verliert sich hier in unserer Wildnis.«
»Könnt ihr mich auf den rechten Weg führen, guter Vater?« rief Ludwig lebhaft. »Ich will's euch reichlich belohnen.« – »Morgen früh recht gern, mein lieber Herr,« entgegnete der Alte; »aber heute abend vermögen es meine schwachen müden Glieder nicht mehr, denn der Weg ist im Finstern äußerst ge- fährlich selbst für die besten Bergsteiger, die ihn genau kennen. Hinanwärts geht es noch, aber hinunter, wo wir steil bergab müssen, ist es gar nicht zu wagen.«
Ludwig wäre, so erschöpft er sich fühlte, mit Freuden die ganze Nacht hindurch gewandert; doch ein Blick auf den schwachen, zitternden Greis
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