1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
dieser Verkleidung?« rief Bernhard leise, indem er einen Schritt zurücktrat. »Um des Himmels willen, was bedeutet das?« – »Die Notwendigkeit drang mir diese Maske auf,« entgegnete Bianka, »ich bin eine Gefangene und konnte nur in dieser Kleidung zu dir schleichen.« – »Du eine Gefangene?« rief Bernhard erstaunt; Ludwig trat besorgt näher.
»Laßt mich schnell sein, ihr Lieben,« erwiderte Bianka, »denn die Augenblicke drängen. Ich fürchte, unser Geheimnis ist halb oder ganz verraten. Wir müssen gestern behorcht worden sein. Als ich dich verließ und zur Gräfin hinüberging, fand ich sie in großer Aufregung; sie saß fast ganz angekleidet auf dem Sofa und schrieb. Bei meinem Eintritte raffte sie die Papiere hastig zusammen und sprach von gleichgültigen Dingen; doch war in ihren Zügen die äußerste Unruhe nicht zu verkennen. Zwar argwohnte ich, was geschehen sein könnte, doch um ihren Verdacht nicht mehr zu reizen, fragte ich nichts, sondern begab mich sogleich durch mein Arbeitszimmer, welches an das Wohngemach der Gräfin stößt, in mein Schlafzimmer, wo mich Jeannette, mein Mädchen, erwartete. Ich ließ mich schnell entkleiden und schickte sie weg. Voller Unruhe blieb ich auf. Ich öffnete die Tür meines Arbeitszimmers ein wenig und hörte, daß die Gräfin noch wach war und daß sie sogar mit jemand sprach. Ich konnte nicht unterscheiden was, doch glaubte ich an der Stimme den Kammerdiener des Grafen zu erkennen. Endlich wurde es still; ich begab mich zur Ruhe. In der Nacht aber hörte ich deutlich die Tore öffnen und einen Schlitten wegfahren. Diesen Morgen begab ich mich früh zu meiner Pflegemutter; sie hatte so etwas in ihren Blicken, daß ich nicht zweifeln konnte, sie habe unser Geheimnis zum Teil entdeckt; doch ließ sie sich nicht das mindeste merken. Schon von selbst hatte ich mir vorgenommen, das Frühstück auf meinem Zimmer einzunehmen, um keinen Verdacht zu erwecken, doch würde ich zur Mittagstafel gekommen sein. Allein die Gräfin äußerte, ich werde hoffentlich den Tag über bei ihr zubringen, da es sich nicht wohl zieme, daß ich, während sie selbst krank sei, mit den beiden Fremden allein speise; sie setzte hinzu, sie würde es ungehörig finden, wenn ich euch vor des Grafen Ankunft wieder spräche. Ich bequemte mich ihrem Willen, doch ich wurde meiner Sache immer gewisser, daß etwas vorgefallen sein müsse. Im Laufe des Vormittags ging ich auf mein Zimmer und entdeckte zufällig, daß die Tür nach dem Korridor verschlossen und der Schlüssel abgezogen sei. Jetzt durchschaute ich alles; ich war eine Gefangene der Gräfin; sie mußte unser Geheimnis kennen. Der Kammerdiener hat sich den ganzen Tag nicht gezeigt; ich vermute, er ist zum Grafen geschickt worden. Daher beschloß ich, dich, mein Bruder, von allem zu unterrichten, und sandte dir durch Jeannetten den Zettel. Allein das Gespräch mit dir durch das Fenster konnte gefährlich werden; ich ließ daher Jeannetten spät auf mein Zimmer kommen, unter dem Vorwande, daß ich wünschte, sie möge in demselben schlafen, weil mir nicht ganz wohl sei. Als sie entschlummert war, legte ich leise ihre Kleidungsstücke an und ging so unerkannt durch das Zimmer der Gräfin. Jetzt aber frage ich dich, mein Bruder, was sollen wir tun?« – »Schnelle Flucht scheint mir das einzige Rettungsmittel,« erwiderte er rasch; »wenn es möglich wäre, Smolensk in dieser Nacht zu erreichen.« – »Möglich ist das. Aber sollen wir das Äußerste wagen, bevor das Äußerste uns drängt? O mein Bruder, wenngleich das heiligste Band der frommen, kindlichen Liebe und des Vertrauens zu denen, die ich als meine Eltern ehrte, schmerzlich zerrissen ist; doch fühle ich mich noch von tausend Fäden der Gewohnheit und des Dankes gefesselt. Müßte ich mich heimlich, flüchtig, in der Nacht von ihnen trennen, so würde doch ein tiefer Schmerz in meine Seele schneiden und meine Brust sich von dem Vorwurfe des Undanks belastet fühlen.«
»Liebe, aber was willst du tun,« antwortete Bernhard, »wenn du selbst eingestehst, daß du deinen Bruder nicht anzuerkennen wagen darfst vor deinen Eltern? Hat denn die Liebe ihr Tun gegen dich bestimmt? Oder zogen sie dich herauf, nur um dich zu opfern, mit deinem süßen Reiz unwürdig zu markten?«
»Du sprichst wahr – doch die Blüten der Liebe und Ehrfurcht, die achtzehn Jahre lang in meinem Herzen keimten, hängen fest an dem mütterlichen Boden. Ich liebte einst meine Eltern unbeschreiblich, denn
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