1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
ich hatte nur Wohltaten, wenngleich, jetzt fühle ich es, kalt und streng zugemessen, von ihnen erfahren. Doch, hat das Herz auch die freie, schöne, heilige Liebe verloren, von den Pflichten des Danks kann es sich nicht freisprechen. Das Gute, das uns geschehen, fesselt uns, auch wenn es nicht allein aus dem lautern Quell der Liebe floß. Bruder, rate meiner schwankenden Brust, leihe mir deinen festen, männlichen Arm in diesem Sturme widerstreitender Gefühle, der mich niederzuwerfen droht!« Mit diesen Worten nahm sie wie bittend seine Hand und richtete das feuchte Auge zu seinem finster rollenden empor.
»Du hast recht, Schwester,« antwortete er, »recht mit deinem weiblichen, duldenden, alles vergebenden Herzen; ich, mit meiner trotzigen Männerbrust, denke anders und habe auch recht. – Wir müssen fort,« sprach er heftiger, »ich zwinge dich dazu und nehme die innere Schuld ganz auf mich. Du mußt mir folgen, Schwester, und sogleich; bei Gott, du mußt!« – »Ja, ich glaube, er hat recht«, sprach Ludwig sanft, aber dringend, und trat der Geliebten näher. »Die Rechte des Bruders sind die heiligern.« – »Und die deinen seit gestern die heiligsten!« rief Bernhard unterbrechend. »Erröte nicht, Schwester, und mißtraue dieser Wahrheit nicht deshalb, weil sie zugleich das höchste Glück deiner Brust bildet. Ich weiß es wohl, edle Wesen zagen selbst, das Rechte zu tun, wenn es eins mit ihren Wünschen wird; aber nicht immer ist nur das opfernde Herz das tugendhafte. Vertraue mir; ich entscheide, aber ohne Leidenschaft. Brich die Fessel, die, halb von der Liebe, halb von der Gewalt geschmiedet, die freie Entscheidung deines Willens hemmt.«
»Nun, so sei es denn,« sprach sie nach einigen Augenblicken des innern, stummen Kampfes; »ich gehorche dir, mein Bruder.« – »Und sogleich,« fiel Bernhard ein, »denn jede Minute des Verzugs bringt Gefahr.« – »Und wohin willst du flüchten?« fragte Bianka. – »Nach Smolensk.« – »Wie,« rief sie erschreckt, »und schwebt dort nicht das Schwert des Todes über euerm Haupte?« – »Seit unsere erbitterten Ankläger durch ihr furchtbar waltendes Schicksal gerichtet sind,« antwortete Ludwig, »fürchte ich von dieser Seite her nichts mehr für uns. Nicht unsere Schuld, sondern der Wille, uns schuldig zu sehen, brachte uns Gefahr.«
»So folge ich denn auch dorthin. Willhofen wird uns Pferde und einen Schlitten schaffen.« – »Wir erwarten ihn hier jeden Augenblick, weil er mich um Mitternacht zu dir führen sollte«, antwortete Bernhard. »Aber hörst du nichts? Das ist Peitschenknall und Schellengeklingel! Ganz vernehmlich!«
Bianka erblaßte. »Ein Schlitten, der sich dem Schloßtore nähert! Das ist mein Vater!« – »Er sei es oder sei es nicht,« rief Bernhard; »jetzt ist nicht der Augenblick zur Flucht. Eile auf dein Zimmer zurück, Schwester, bevor die Ankunft des Schlittens die Leute im Hause weckt. Sobald es ruhig ist, bin ich unter deinem Fenster.« Er trieb sie fort; sie schwebte mit flüchtigen Schritten, kaum Atem holend, den langen Gang hinunter. Kaum war sie in den innern Gemächern verschwunden, als der herannahende Schlitten vor dem Tore des Schlosses hielt und ein so lautes, heftiges Pochen an demselben erschallte, daß man keinen Zweifel dareinsetzen durfte, es sei der Besitzer selbst, der Einlaß begehre. Das Tor wurde geöffnet; Bernhard lauschte durch die Spalte der halbgeöffneten Tür. Zwei Männer kamen die Treppe herauf, doch ließ ein verworrenes Geräusch von Stimmen mutmaßen, daß noch andere Ankömmlinge unten geblieben waren. Jetzt erkannte Bernhard den Kammerdiener, der, mit einem Armleuchter in der Hand, einem dicht in den Pelz gehüllten Herrn vorleuchtete. Ludwig erklärte, es sei der Graf; auch nahm er seinen Weg nach den Gemächern der Gräfin. Jetzt wurde es still, man hörte nichts mehr.
Eine Viertelstunde brachten Bernhard und Ludwig in gespannter Erwartung hin. Da pochte es leise an ihre Tür; es war Willhofen. Der wohlwollende, gewandte Alte hatte schon fast den ganzen Zusammenhang der Begebenheiten erraten. Er war der Meinung, daß für diese Nacht nichts mehr zu wagen sei, ohne die Lage der Dinge gefährlicher zu machen. Deshalb übernahm er es, der Fürstin einen Zettel von Bernhard, der sie mit dem gefaßten Entschlusse bekannt machte, ins Fenster zu werfen. Dies führte er glücklich aus, erstattete Bericht darüber und versprach, wachsam zu sein, um, sobald sich das mindeste ereignete,
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