1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
überzeugte ihn, daß er das Unmögliche von demselben verlangen würde, wenn er ihn beredet hätte, ihn gleich zu geleiten. Er nahm daher die gastliche Einladung, die Nacht in der Hütte zuzubringen, an, und folgte dem gutmütigen Wirte in die kleine, enge, von dem brennenden Holzspan düster erleuchtete Stube. »Es tut mir nur leid, daß mein Sohn nicht daheim ist,« sprach der Alte, »der würde besser für euch sorgen können. Aber er kommt erst morgen abend von Sion zurück, wo er zur Hochzeit seiner Base geladen ist. So müssen wir uns denn schon allein behelfen.«
»Lieber Vater,« sprach Ludwig, »ich bedarf nur der Ruhe, und die würde mich doch fliehen, selbst wenn ich hier das üppigste Lager fände. Das einzige, was ich euch bitten will, ist, daß wir morgen recht zeitig aufbrechen.«
»Das wollen wir,« sprach der Greis, »denn von drei Uhr an leuchtet uns der Mond schon; aber nehmt jetzt mit einem Stück schwarzes Brot und Alpenkäse fürlieb; auch einen Trunk Milch kann ich euch geben. Heute früh hatte ich noch einen Rest Wein, den habe ich aber wahrlich schon selbst getrunken,« Ludwig genoß das ländliche Mahl mit dem Alten. Es würde ihm herrlich gemundet haben, wenn nicht Schmerz und bange Sorgen sein Herz erfüllt hätten. Indessen wider Willen gaben ihm Ruhe und Speise frische Kräfte und damit zugleich heitere Hoffnungen zurück. Er empfand bald die große körperliche Ermüdung, die sein angestrengtes rastloses Eilen auf beschwerlichen Pfaden, das über fünf Stunden gedauert hatte, nach einer fast schlaflosen Nacht und der gestrigen Tageswanderung wohl erzeugen mußte. So erschien das Lager von duftendem Alpenheu, welches der freundliche Alte bereitet hatte, ihm sehr willkommen, und er sank bald in tiefen Schlaf, der, wie unruhige Träume auch durch seine Seele zogen, ihn doch zu der neuen mühseligen Wanderung stärkte.
Sechstes Kapitel.
An Biankas Seite hatte ihn der täuschende Traumgott geführt, und er wähnte, sich mit ihr in lieblichen Auen zu ergehen, als die Stimme seines Wirtes ihn erweckte. »Es wird Zeit, lieber Herr; eben ist der Mond über die Simplonhörner heraufgekommen und leuchtet ins Tal. Wenn ihr Eile habt, so wollen wir jetzo den Weg antreten.«
Ludwig hörte die Worte des Alten noch halb in seine Träume hinein. Er konnte sich nicht besinnen, wo er war, denn aus den blühenden Fluren Italiens, aus dem heitersten Sonnenglanz, der sein schlummerndes Auge umgeben hatte, sah er sich jetzt, da er es aufschlug, in einen düstern engen Raum versetzt, wo das Mondlicht seltsam mit dem Schimmer des dunkel glimmenden Holzbrandes kämpfte. Erst als ihm der Greis die Hand reichte, um ihn emporzurichten, und ihm jetzt die volle Mondscheibe durch das kleine Fenster der Hütte gerade entgegenglänzte, gewann er seine völlige Besinnung wieder und antwortete auf die freundliche Ermunterung: »Gleich, guter Vater, ich war noch halb im Traume; gleich.« Mit diesen Worten sprang er auf und war in wenigen Augenblicken zur Reise gerüstet.
»Wollt ihr nicht ein wenig frühstücken, lieber Herr?« fragte der Alte, »ich habe etwas Milch gewärmt. Der Morgen ist kühl, es könnte euch leicht übel zumute werden, wenn ihr nüchtern ins Freie wolltet. Ein warmes Getränk ist immer wohltätig, wenn es auch noch so gering sein mag.« Ludwig fand sich durch die treuherzige Fürsorge des Alten fast gerührt; er nahm gern von dem dargebotenen Frühstück an, gönnte sich jedoch nur wenige Augenblicke dazu, indem die gestrige Unruhe sich schon wieder seiner ganzen Seele bemeistert hatte.
Der Alte schloß die Hütte nicht ab, als sie hinausgingen. »Hier nimmt uns niemand etwas,« sprach er, »wir schieben nur nachts, wenn wir daheim sind, den Riegel vor, damit nicht etwa ein wildes Tier eindringe, denn es gibt gar böse Wölfe hier in den Bergen.«
Der Mond leuchtete ihrem Pfade hell genug; bald fing auch der Tag schon an zu grauen. Ludwig mußte gestehen, daß der Weg abwärts allerdings sehr gefährlich war, denn selbst jetzt, wo man doch wenigstens sehen konnte, wohin man den Fuß setzte, war Vorsicht nötig. Doch schien ihm sein Führer zu behutsam, zu bedenklich; zumal aber an ebenen Stellen des Weges machte ihn der altersmüde, langsame Schritt desselben ungeduldig; indessen sah er wohl ein, daß er sich ihm schon bequemen müsse.
Nachdem man fast zwei Stunden gewandert war, sprach der Greis: »Seht ihr, mein Herr? Das ist dort der Steg, über die Rhone.« Ludwig sah in einiger
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