1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Entfernung zwei starke, sehr lange Baumstämme ohne Geländer quer über den Strom gelegt. Er erkannte jetzt die Stelle an einigen seltsam gebildeten Felsblöcken, die ihm gestern aufgefallen waren, wieder, hatte aber in der Dunkelheit den Steg nicht bemerkt, sondern ihn nur für eine halbe aus der Wurzel gelöste Fichte, die stark nach dem Wasser überhänge, gehalten, wie sich deren mehrere auf dem Wege fanden. Daß der Pfad sich hier scheide, war gar nicht zu bemerken gewesen, denn beim Näherkommen sah Ludwig, daß man, um nach dem Stege zu gelangen, rechtwinklig ausbiegen und alsdann einige steile Felsstufen abwärts steigen mußte, die in der Dunkelheit gar nicht als ein sich abzweigender Weg zu erkennen waren.
Ludwig wollte seinen Begleiter eben fragen, ob er sich auch mit Gewißheit zu behaupten getraue, daß der Weg jenseit der Rhone der einzige sei, den die Reisenden, die er aufsuche, einschlagen konnten, als ein Gegenstand, auf den sein Auge fiel, ihn mit einem freudigen Erstaunen erfüllte. Er gewahrte nämlich an einem Baumzweige, gerade an der Ecke, wo die Felsstufen abwärts zur Rhone führten, ein rosafarbenes Band, das im Morgenwinde hin und her flatterte. Eine selige Ahnung durchbebte seine Brust; er eilte auf das Gebüsch zu und erkannte mit Entzücken, daß eine Schleife von Biankas Gewand darangeknüpft war.
»O daß die Nacht mir gestern dieses holde Zeichen verbarg!« rief er aus, und eine Träne drang ihm ins Auge. »Ja, sie trennte sich ungern von mir, sie wollte meine Schritte leiten, damit ich sie nicht verfehlen sollte.« Er knüpfte das Band von dem Baume los und legte es in seine Brieftasche. Freudigen Mutes schritt er nunmehr weiter. Doch jenseit des Steges, der über die schäumenden Wellen der Rhone leitete, fragte ihn der Greis: »Wohin soll ich euch aber jetzo führen, lieber Herr?«
»Je nun, das Tal entlang; ich meine, es gebe nur einen einzigen Weg«, antwortete Ludwig.
»Das wohl!« entgegnete der Greis, »allein ihr sagtet mir gestern, euer Freund hätte über das Gebirge tiefer in die Schweiz hineingewollt. Da haben wir nun freilich eine große Wahl, denn es führen hier viele Steige über die Alpenkette ins Berner Oberland hinein. Es ist die Frage, welchen ihr wählen wollt.«
Ludwig stand unentschlossen still. Plötzlich dachte er, sie wird mich nicht ohne ein ferneres Leitungszeichen lassen. »Nur vorwärts,« sprach er, »macht mich nur aufmerksam, sobald ein Pfad sich abzweigt, ich werde mich dann schon entschließen.«
Sie gingen. Bald befanden sie sich auf einer Straße, die sich für Gebirgswagen und Maultiere sehr wohl benutzen ließ. Ludwig war es hauptsächlich um schnelles Vorwärtskommen zu tun, der Greis aber vermochte nur im langsamen gewohnten Schritt zu gehen. Nach einiger Zeit, da man schon mehreren jungen Landleuten begegnet war, die rüstigere Führer hätten abgeben können, fing daher der Alte selbst an: »Lieber Herr, ich sehe wohl, ihr möchtet gern rascher fort, als ich vermag. Wollt ihr euch nicht lieber einen jüngern Führer nehmen? Wir werden hier gleich an einen Meierhof kommen, wo ich bekannt bin und euch leicht einen Boten verschaffen kann, der von hier bis Bern oder Zürich genau Bescheid weiß.«
Ludwig, der nur aus Gutmütigkeit gegen seinen redlichen Begleiter den Vorschlag noch nicht selbst gemacht hatte, nahm das Anerbieten freudig an und sprach: »Es soll drum euer Schade nicht sein, guter Vater; aber die Eile ist mir so wichtig, daß ich im Notfall allein weitergegangen wäre, um nur schneller fortzukommen, denn ich muß meine Freunde durchaus noch heute einholen.«
»Da kommt der Joseph wahrhaftig selbst«, unterbrach der Greis ihn durch eine frohe Ausrufung und deutete auf einen jungen Mann, der, einen Korb auf der Schulter tragend, eben des Weges daherkam. »Ei, Seppi,« rief er ihn von weitem an, »willst du den Herrn geleiten? Er will übers Gebirg.«
»Gar gern,« erwiderte mit kräftiger Stimme der junge Bursch; »wenn ich nur meine Last hier los wäre; aber ich muß damit nach Brieg hinein!«
»Ei was,« rief der Alte, »her damit, ich trage sie in die Stadt, und du führst den Herrn weiter.«
Joseph lud dem Alten den Korb auf, den dieser auf gewohnten Schultern ohne Mühe trug. Ludwig nahm herzlichen Abschied von dem biedern Greise und beschenkte ihn so reichlich, daß derselbe in die freudigsten Danksagungen ausbrach, die er gewiß nicht sobald geendet haben würde, wenn Ludwig nicht in seiner Eile dieselben durch
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