Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
Vom Netzwerk:
Verzweiflung am Boden liegenden Alisette zu: »Raffe deinen Mut zusammen, Unglückliche, und trage, was das Schicksal dir verhängt.«
    Doch sie war taub für die vernünftigen Worte, die Mäßigung, Geduld, Entschluß von ihrer in sinnlicher Erschlaffung untergegangenen Seele forderten. Zwar mit einem ahnungsvollen Grauen, aber doch durch den Wahnsinn verblendet und getäuscht, der seine Augen vor der Möglichkeit eines düstern Verhängnisses gewaltsam schließt, hatte sie das Unheil dieses Krieges um sich her von Tage zu Tage wachsen sehen. Daß es endlich auch sie unerbittlich erreichen werde, hatte sie als ein so unerhört unmögliches Ansinnen des Geschicks betrachtet, daß ihr jetzt, wo dieser Augenblick gekommen war, Kraft und Fassung versagte. Noch nichts wäre verloren gewesen, wenn sie nicht in der, freilich harten Notwendigkeit, strenge Beschwerden zu tragen, schon den völligen Untergang gesehen hätte. So richtete sie sich selbst zugrunde. Über das, was sie aufgeben mußte, hatte sie allen Blick für das, was ihr blieb, verloren; die furchtbare Nemesis einer unsittlichen Gesinnung, die vom Leben nur Genuß wollte und mit allen Kräften und allen Mitteln nur diesem nachgestrebt hatte, traf jetzt ihr Haupt mit zermalmender Gewalt. Auf Tage ernsten Duldens war sie nicht bereitet; hier brach sie gänzlich kraftlos zusammen und vermochte nichts als zu jammern und zu freveln. So erhob sie denn auch jetzt die Stimme zu tief in die Seele schneidenden Lauten des Jammers. »Hilfe, Erbarmen, Rettung!« rief sie auf die Knie geworfen, und gewann nicht die Kraft, sich selbst durch den Entschluß zu retten, die Mühseligkeit so lange zu ertragen, als sie es vermochte. Erst, als der letzte Wagen sich nun auch in Bewegung setzte, und die Pferde unter wildem Rufen und Peitschenhieben, was die Kraft ihrer Sehnen vermochte, den Eisabhang hinanklimmten, da erst, als das Grausen, sich ganz allein zu sehen, sie übergewaltig faßte, raffte sie sich auf und stürzte, einer Wahnsinnigen gleich, mit aufgelösten Haaren den Davonziehenden nach. In ihrer Raserei wollte sie sich an den letzten Wagen klammern, doch die Krieger, die schon fürchteten, daß ihre Pferde das Hindernis nicht bezwingen könnten, trieben sie mit ihren Waffen zurück und versetzten ihr Wunden und blutige Quetschungen. Von der Todesangst getrieben, packte sie jetzt das in der Kälte und auf der glatten Bahn stockende Hinterrad des Wagens und ließ sich hinaufschleifen; doch weil diese Last die Kräfte der ermüdeten Tiere noch mehr belud, so zog ein verwundeter Kürassier, der auf dem Wagen lag, die Pistole heraus und drohte ihr, sie niederzuschießen, wenn sie nicht loslasse. Da sanken ihr, von dem plötzlichen Schrecken gelähmt, die Hände kraftlos zurück, und sie blieb winselnd und jammernd im Wege liegen. So sah sie Boleslaw, als er einen letzten Blick zurückwandte; er kämpfte unentschlossen mit sich selbst, ob er sich noch einmal zu ihr wenden sollte, doch die Kameraden zogen ihn gewaltsam fort, und der junge Soldat, der ihn führte, rief: »Laßt sie, laßt sie; die Mutter, die ihr Kind umbringen wollte, darf man nicht anrühren, sonst zieht man den Fluch des Himmels auf sich. Laßt sie, es trifft sie die gerechte Strafe.«
    Bald hörte Boleslaw nur noch das herzzerreißende Jammergeschrei der Unseligen, bis der Sturmwind, der sich rauh erhob und düstere Schneewirbel aufjagte, es übertönte.

Zweites Kapitel.
    Bei Korithnia ereilte die Nacht das Heer; man bezog das Biwak, oder richtete sich in den Trümmern des elenden Örtchens ein. Rasinski hatte, wie immer, durch unermüdliche Sorgfalt, durch sein Ansehen, seine Gewandtheit noch so viel für die Seinigen gewonnen, daß sie für die Umstände ein glückliches Los zogen. Aber kaum hatten sie sich an den Lagerfeuern eingerichtet, als ein donnerndes Getöse ganz in der Nähe erschallte und plötzlich eine Masse von Kugeln sausend über ihre Häupter dahinfuhr. »Wir sind angegriffen,« rief Rasinski und sprang auf; »zu den Waffen, Freunde, schnell zu Pferde!« Im Augenblick saß er selbst zu Roß und fing schon an, seine Leute zu ordnen, als der Marschall Ney im vollen Galopp heransprengte und ihn anrief: »Oberst, rekognoszieren Sie mit Ihren Leuten die linke Flanke des Lagers und melden Sie mir sofort, wenn Sie auf den Feind stoßen.«
    Der Marschall ritt weiter, mitten in das Lager hinein, und ordnete und sammelte die bestürzten Leute. Rasinski, an der Spitze seiner kleinen, aber

Weitere Kostenlose Bücher