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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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gefaßt, wissen, was unser wartet, und dürfen nicht klagen. Aber unsere Freunde! Nicht ihr Herz führte sie hierher! Der Krieg, der über jedes andere Haupt ein schneidendes Schwert schwingt, sollte über das ihre einen Schild gegen feindlich geschärfte Pfeile und Gift breiten. Ich bot ihnen dieses gefährliche Obdach; doch diese alles verschlingende Charybdis des Elends und des Entsetzens hat nun auch sie in ihre Strudel hinabgerissen! Es muß überstanden werden, Boleslaw; dazu sind wir Männer. Ich fühle es, das eherne Rad des Schicksals geht zermalmend über unsere Brust; doch unser brechender Blick soll kein verzagtes Herz verraten!«
    »Wer weiß,« erwiderte Boleslaw schwermütig, »wie bald wir wieder mit ihnen vereinigt sind!« – »Ich hoffe nichts mehr!« entgegnete Rasinski, der ihn mißverstand. – »Hier trennt der Tod die Kameraden nicht lange voneinander, meine ich«, sprach der Jüngling, das Haupt langsam schüttelnd, indem er aus den großen schwarzen Augen einen Blick zuerst auf die Jammergestalten rings um ihn her und dann in die Weite hinauswarf, als wolle er die hinsterbenden Kräfte dieser Leidenden mit den unbegrenzten Räumen vergleichen, die sie zu durchmessen hatten, bevor sie die wirtbaren Stätten der Heimat wiedersähen.
    »So verstehst du's? Dann hast du freilich recht,« antwortete Rasinski; »bist du so ermattet von deiner Wunde, daß diese dich an den Tod gemahnt?« – »Nein,« erwiderte Boleslaw; »ich fühle mich besser. Vielleicht kann ich in wenigen Tagen schon wieder zu Pferd sein. Eine kürzere Strecke könnte ich schon heute gehen oder reiten.« – »Nun, so gehab dich wohl«, rief Rasinski rasch und fast rauh, weil er weich zu werden fürchtete. »Ich werde euch nicht aus den Augen lassen, Kinder«, setzte er, gegen die übrigen gewandt, hinzu. Hierauf spornte er sein Pferd und ritt zu Jaromir zurück.
    Boleslaw, der in seinem ernsten, verschlossenen Gemüt alles tiefer empfand, als er zu äußern pflegte, war auch durch den Verlust Bernhards und Ludwigs im Innersten bewegt worden. Und fast war es unmöglich, etwas anderes als ihren Tod zu vermuten; denn da sie erfahren haben mußten, daß Rasinski plötzlich befehligt worden war, mit seinem Regimente zurück zum Neyschen Korps zu gehen, hätten sie sich ihm gewiß anzuschließen gesucht, oder ihn wenigstens in Smolensk erwartet. Es waren noch viele in der Stadt, die ihnen hätten Auskunft geben können, unter andern Oberst Regnard, der mit dem Vizekönig von Italien die Festung erst verließ, als Rasinski schon mit den Seinigen wieder eingerückt war. Allein an keinen hatten sie sich gewandt, niemand hatte eine Spur von ihnen entdeckt. Wären sie aber vorwärtsgegangen, hätten sie eine Gelegenheit gehabt, auf leichtern Wegen die Heimat zu erreichen, so würden sie unfehlbar Sorge getragen haben, Regnard und durch ihn Rasinski zu benachrichtigen. Die Wahrheit ihres Geschicks war freilich niemand bekannt geworden; und so wurden sie der unermeßlichen Zahl derer beigesellt, welche sich täglich aus den Reihen ihrer Kameraden verloren.
    Rasinski trug den Verlust, der ihn fast zerschmetterte, mit jener männlichen Kraft, wodurch er sich über die härtesten Schläge des Geschicks erhob; Jaromir beneidete in seiner inneren Zerrüttung die, welche von der Last des Lebens befreit waren; Boleslaw empfand den tiefsten Schmerz brüderlicher Freundschaft, aber er war es schon gewohnt, an verborgenen Wunden zu verbluten; sein stilles Antlitz verriet wenig.
    So saß er denn auch jetzt düster sinnend und ließ seine Blicke über den Zug schweifen, der sich im grauen Morgennebel vor ihm verlor; die Wagenreihe mit Verwundeten bildete den Schluß desselben. Ein kaum bemerkbar ansteigender Feldrücken durchschnitt die Straße; aber er war auf seinem Abhange mit Glatteis bedeckt, so daß die matten Pferde trotz der Flüche und Peitschenhiebe ihrer Führer die unbedeutende Anhöhe nicht hinaufzuklimmen vermochten. So stopften sich die Wagen und Kanonen, und während Reiter und Fußvolk vorüberzogen, blieben sie zurück. Indessen gelang es nach und nach allen, das Hindernis zu überwinden, welches jedem spätern, da das Eis sich splitterte und somit an Glätte verlor, leichter wurde. Schon waren die letzten Wagen, zu denen auch der Boleslaws gehörte, fast an der Reihe, als einer derselben, der mit Gepäck und Frauen zu sehr belastet war, trotz aller Anstrengung der Rosse und des Führers das Hindernis nicht zu überwinden vermochte.

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