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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Doch der Abscheu gegen sie hatte sich aller Herzen bemächtigt, und mit rauher Stimme rief ihr ein ergrauter Sergeant entgegen: »Fort, Rabenmutter! Laufe zu Fuß durch den Schnee!« – »O erbarmt euch meiner Jugend«, jammerte Alisette und warf sich auf die Knie in den Schnee nieder und rang die Hände verzweiflungsvoll.
    Jetzt näherte sich ihr Boleslaw, berührte sie an der Schulter und sprach ernst, aber sanft: »Fassung, Alisette, tragen Sie Ihr Schicksal mit Geduld. Die Beschwerde ist zu überwinden; ich werde Sie leiten und unterstützen, soviel ich vermag!« Die Unglückliche, die noch immer auf den Knien lag, hatte ihn während dieser Worte mit halbirren Blicken sprachlos angestarrt; erst nachdem er geredet, schien sie ihn zu erkennen. »Wie?« rief sie mit verwilderten Zügen. »O, ihr konntet so demütig bitten um ein Lied in guten Tagen! Und jetzt wollt ihr mich der namenlosen Marter preisgeben! Ich soll in dieser Wildnis verschmachten!«
    Bei diesen Worten sprang sie heftig auf und stürzte wiederum auf den Wagen zu, wo das Kind zitternd, an die Brust des Chasseurs geschmiegt, saß. Ehe man ihre Tat nur ahnen konnte, riß sie das unschuldige Wesen wieder herab, schleuderte es zum zweitenmal auf den Boden und rief: »Laßt es hier, es weiß noch nicht, wie schön das Leben, wie furchtbar der Tod hier ist; mich rettet, mich, ich weiß, wie schön die Welt ist, denn ich habe bessere Tage gesehen!« Mit diesen Worten wollte sie sich mit krampfhafter Anstrengung an den Wagen hinaufschwingen und achtete sogar die rauhen Stöße und Schläge der männlichen Faust des Chasseurs nicht. »Fort, du giftige Natter!« rief dieser ergrimmt; »fort, du Schlange! Wer dich aufnähme, lüde sich den Zorn Gottes auf. Du magst hier von den Wölfen zerrissen werden, du, ärger als eine Wölfin.« Zugleich brach er ihr mit übermächtiger Kraft, und von seinem Nachbar unterstützt, gewaltsam die angeklammerten Hände los und schleuderte sie zurück, daß sie betäubt auf den harten Boden stürzte.
    Boleslaw hatte indessen das weinende, jetzt auch von dem harten Falle blutende Kind zum zweitenmal in die Arme genommen und reichte es dem alten Krieger von neuem dar. Als er Alisetten wie zerschmettert, mit aufgelösten Haaren rücklings auf dem Boden liegen und sie das irre Auge und die bebenden Hände kraftlos zum Himmel richten sah, erschien ihm ihr Jammer doch noch größer als der Wahnsinn ihres Verbrechens. Er näherte sich ihr und hob sie empor. Als sie von ihrer Betäubung zu sich kam und inne wurde, daß es abermals Boleslaw war, der ihr mit männlicher Sanftmut Fassung einsprach, warf sie sich außer sich vor Angst vor ihm nieder, umklammerte seine Knie und rief: »Ihr müßt mich retten! Ihr könnt mich nicht dem Entsetzen preisgeben! Ich lasse euch nicht, bis ihr mir schwört, mich zu retten!« Sie hielt seine Füße so fest umstrickt, daß er, durch seine Wunde geschwächt, sich nicht loszureißen vermochte. Vergeblich rief er ihr zu, sich zu fassen und aufzustehen; in ihrer Betäubung hörte sie kein Wort mehr. Indessen rückten die Wagen allgemach vorwärts; zwei waren die glatte Anhöhe schon hinauf, der, auf welchem Boleslaw seinen Platz hatte, kämpfte eben mit den Schwierigkeiten; nur vier waren noch zurück und hielten still. Es wurde die höchste Zeit, daß diejenigen, die sich erboten hatten, aus Mitleid abwechselnd kürzere Strecken zu Fuß zu gehen, ihren Weg fortsetzten. Teils, um sich an den Offizier anzuschließen, da eine höhere Stellung immer Vertrauen erweckt, teils durch das Schauspiel, das sich vor ihnen begab, angezogen, hatten fünf bis sechs dieser Krieger sich Boleslaw genähert. Da dieser jetzt von der Verzweifelten so festgehalten wurde, daß er sich nicht loszumachen vermochte, so griffen sie zu und rissen die Unglückliche mit Gewalt von ihm hinweg und schleuderten sie in den Schnee zurück. »Vorwärts, mein Herr Offizier,« rief ein junger Soldat; »vorwärts, sonst bleiben wir hinter den Wagen zurück. Das Frauenzimmer hat ja gesunde Füße, sie kann besser fortkommen als wir; kommt! kommt!« Damit ergriffen ihn der junge Krieger von der einen Seite und ein Dragoner von der andern beim Arm und führten ihn fort. Bei seiner geschwächten Kraft hatte ihn dieser heftige Auftritt, der sein ganzes Innerste auf so vielfache Weise in Bewegung setzte, so angegriffen, daß er sich kaum auf den Füßen zu halten vermochte. Doch wandte er sich noch einmal zurück und rief der in alles aufgebender

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