1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
geriet in Gefangenschaft. Die Kosaken trieben mich mit der Knute vor sich hin, bis ich einen russischen General antraf, dem ich auf französisch zurief, er möge mich von dieser infamen Mißhandlung befreien. Die Bestie aber lachte hell auf und meinte, die Knute der Kosaken mache sowenig Unterschied zwischen Rang und Stand des Soldaten wie die Kanonenkugeln; ich möchte mich daher in mein Schicksal ergeben.« – Rasinski knirschte vor Zorn mit den Zähnen. »Diese Henkersknechte,« rief er ingrimmig aus; »freilich sie, die selbst unter dem Gesetz der Peitschenhiebe und der Fußstöße stehen, können die Ehre eines tapfern Gegners nicht achten. Weiter, weiter!« – »Man hätte mich wohl gern auf den Schub gebracht, nach Tobolsk oder Irkutsk hin, allein zum Glück oder Unglück waren zuwenig Gefangene gemacht worden, um den Transport zu lohnen; so wurde ich von den Kosaken, denen ich in die Hände gefallen war, mit herumgeschleppt. Vor zehn Minuten hatte ein Rudel dieser Kerle hier eine von uns im Stich gelassene Batterie aufgesprengt, muß aber dabei von euch oder andern gestört worden sein; denn die Helden kamen, was ihre kleinen Katzen nur durch den Schnee laufen wollten, bei dem Polk, welcher droben am Walde hält, an und meldeten, der Feind sei da und ziehe heran. Der Kosak ist aber nur tapfer gegen einen flüchtigen, ermatteten, wehrlosen Feind. Zeigt man ihm das Angesicht, so flüchtet er in größter Schnelligkeit. Das taten auch die Leute dort oben, und so benutzte ich einen Augenblick der Verwirrung, um mich zu ranzionieren. Da fiel ich euch in die Hände. Nun, euer Gefangener, Rasinski, bleibe ich; ihr dürft nicht bange sein, daß ich euch entwische.«
»Aber ihr erwähntet eines Gefechts, das der Vizekönig bestanden. Wie verhielt es sich damit?« fragte Rasinski besorgt.
»Ich ritt,« begann Regnard ernster, »an der Seite des Prinzen; wir überließen uns unsern düstern Gedanken, die durch die traurige Umgebung ringsher immer neu erweckt wurden. Etwa zwei Stunden vor Krasnoe stutzen plötzlich die zerstreuten, aber zahlreichen Soldaten, die außer Reih' und Glied, ihrer Willkür überlassen, um uns her marschieren. Sie drängen sich aufeinander, sie bilden eine Masse. Jetzt werden wir aufmerksam. Da krönen sich plötzlich die Höhen vor uns mit schwarzen Massen, und mit Schrecken sehen wir ungleich überlegene Streitkräfte zwischen uns und der Heimat sich aufstellen, die uns mit ehernen Riegeln den Ausweg aus den Schneewüsten Rußlands zu versperren drohen. Doch was jedes Soldatenherz noch mehr erschüttern mußte, diese unübersteigliche Mauer türmte sich zwischen uns und unserm großen Kaiser, für den Vizekönig zwischen Vater und Sohn auf. Jetzt erst bemerkten wir, daß der raschere Schritt unserer Pferde uns unserm Korps um eine Stunde vorausgeführt hat, und die Straße nur von abgezehrten, kraftlosen, unbewaffneten Flüchtlingen ringsumher wimmelt. In demselben Augenblick reitet ein russischer Parlamentär heran und fordert uns auf, uns zu ergeben. ›Zwanzigtausend Russen sperren euch den Weg‹, ruft er; ›fünfzig Kanonen sind bereit, euch zu zerschmettern; der Kaiser mit seiner Garde ist gänzlich geschlagen, vielleicht in diesem Augenblick schon gefangen.‹ – Ich sehe den Unwillen des Vizekönigs, dem die Sprache zu einer Antwort auf diesen Antrag versagt. Daher rufe ich heftig: ›Fort mit euch! Habt ihr zwanzigtausmd Mann, so haben wir achtzigtausend. Ein französischer Feldherr ergibt sich nicht vor der Schlacht.‹ – Der Russe reitet zurück. Es vergehen nicht zwei Minuten, so sind die Höhen vorwärts und zur Seite mit Batterien gekrönt. Plötzlich blitzt es und eine düstere Dampfwolke steigt über dem weißen Schnee auf, als wenn rings die Schlünde des beeisten Hekla gähnten; ein Hagel von Kartätschen und Granaten schmettert auf uns nieder. Die waffenlosen Flüchtlinge drängen sich zusammen wie eine scheue Herde, in die der Wolf bricht. Der Vizekönig ist außer sich, von seinem Korps getrennt zu sein; er fühlt, daß er sich an die Spitze desselben stellen müsse, und kann sich doch nicht entschließen, die hilflose Schar um uns her zu verlassen.
»Doch sein Generalstabschef, General Guilleminot, treibt ihn an, zurückzueilen, indessen wir die entmutigten Leute um uns her auffordern, sich zu sammeln und Widerstand zu leisten. Unter den Zerstreuten waren eine Menge Offiziere, Obersten, ja selbst Generale, die alle zu Fuß gingen. Sie übernehmen rasch das
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