1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
gefahrvoll sind. Und wenn uns vollends ein böses Wetter überraschte, so dürften wir leicht acht Tage im Gebirge liegen, ehe wir einen Fuß weitersetzen könnten.«
Ludwig hörte diesen nicht sehr tröstlichen Bericht im Gehen an. Er beschloß bis zur Maienwand im Tale aufwärts zu wandern, sich aber auf jeden Seitenpfad aufmerksam machen zu lassen, um zu sehen, ob ihm Bianka nicht irgendein neues Zeichen gegeben haben möchte.
In kurzer Zeit erreichte man das Örtchen Naters, wo Bianka wahrscheinlich übernachtet haben mußte. Ludwig zog genaue Erkundigungen ein, doch niemand wußte ihm Bescheid zu geben. Als sie vor den Ort hinaus an die Stelle kamen, wo der Pfad ins Gebirge links abführte, blickte er vergeblich nach einem flatternden Bande umher – es war keine Spur der Geliebten zu entdecken. So romantisch das Tal war, in dem er wanderte, er erblickte die Schönheiten desselben nicht. Seine ganze Seele war mit Bianka beschäftigt, die er, so schien es jetzt fast, ebenso schnell und unvermutet wieder verlieren sollte, wie er sie gefunden hatte. Jeden Wanderer, der ihm begegnete, befragte er, in vielen einzelnen Häusern, die am Wege lagen, erkundigte er sich – vergeblich. Noch bei guter Vormittagszeit gelangte er über Morill nach Wesch; aber umsonst forschte er überall nach einer Spur von denen, die er suchte, umsonst hoffte er ein Zeichen von Bianka aufzufinden. Er gönnte sich kaum so viel Rast, als ihm und seinem Führer zur Erquickung notwendig war. Mit steigender Angst und Trauer setzte er den Weg fort; der letzte bewohnte Ort, den er traf, war Urlichen. Es war nachmittags um drei Uhr, als er dort anlangte. Zwölf volle Stunden dauerte jetzt seine Wanderung, und der Weg war oft sehr beschwerlich. Unbegreiflich schien es ihm, daß er auch nicht eine Spur der Geliebten fand. Weiter konnte sie, selbst bei großer Eile, kaum gelangt sein; ja, wenn sie auch die ganze Nacht hindurch ihre Flucht fortgesetzt hätte, so mußte sie doch den letzten Teil der Straße bei hellem Tage zurückgelegt haben und konnte, da bei so früher Jahreszeit reisende Damen eine auffallende Erscheinung sein mußten, gar nicht unbemerkt geblieben sein. Fast fing Ludwig daher an zu fürchten, daß sie, um der Spur des Verfolgers so schnell als möglich zu entgehen, es gewagt haben möge, einen der gefährlichen Pfade über das Gebirge einzuschlagen. Und nun hatte er nicht nur den Schmerz der Trennung von ihr zu ertragen, sondern auch für ihr Leben mußte er fürchten. Seine einzige, letzte Hoffnung war noch die, daß er an der Maienwand, wo der steile Pfad nach dem Hospizium auf die Grimsel emporsteigt, ein Zeichen vorfinden werde, das ihn einlade, diesen Weg zu verfolgen, oder den auf den Gotthard fortzusetzen. Seine erschöpften Kräfte erlaubten ihm jedoch nicht, weiter zu Fuß zu wandern; er beauftragte daher Joseph, zwei Maultiere zu mieten, da dieser ihm schon früher gesagt hatte, daß dergleichen in diesem Orte zu haben sein würden, wo die Reisenden sich derselben häufig bedienen, um sich das Ersteigen der schroffen Maienwand zu ersparen. Nach Verlauf einer halben Stunde, während welcher Ludwig rasch das Mittagsmahl einnahm, erschien Joseph mit zwei wohlgesattelten Maultieren und einem Führer für dieselben; denn Ludwig wollte, um sich nicht abermals einem andern verraten zu müssen, seinen muntern Begleiter nicht entlassen. Sie setzten sich auf und traten ihre Reise an. Bald erreichten sie die Maienwand. Ludwig spähte nach einem rosafarbenen Bande wie nach dem köstlichsten Kleinod. Jeden Strauch, jedes Bäumchen betrachtete er mit ängstlicher Aufmerksamkeit; doch kein rosiger Schimmer wollte sich zwischen den fast überall noch geschlossenen Knospen des Grüns zeigen!
Nun blieb ihm keine Wahl mehr. Die Teuere hatte ihm auch hier keinen Wink gegeben, die Straße zu verlassen; war sie daher noch vor ihm, so mußte sie den Weg über den Gotthard gewählt haben. Von jetzt an begann die einsame Wildnis; nur wenige, jetzt verlassene Sennhütten entdeckte man in dem noch fast ganz mit Schnee bedeckten Tale. Zur Linken der Wanderer türmte sich der Eispalast des Rhonegletschers, im Sonnenstrahl tausendfarbig funkelnd, empor; zur Rechten stiegen ungeheuere Felswände auf, und vor ihnen ragten die beiden Schneepyramiden der Furka, mächtig aufsteigend, hoch in den reinen blauen Äther hinein. Das Tal war dem prachtvollen Eingangstor in das ewig starre, funkelnde Reich des Winters zu vergleichen, auf dessen diamantenem
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