1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
sehen. Denn dieser Grund bestimmte ihn, sich auf dem Marsch wie im Biwak und im Quartier stets so nahe als möglich an Rasinski und die Seinigen zu halten. »Nun, Regnard, was bringt ihr Neues?« fragte ihn Rasinski, der schon, in seinen Mantel gewickelt, auf dem Boden lag, um zu schlafen. – »Ich kann euch nicht helfen, aber ich muß euch stören«, antwortete der Eintretende. »Ich bin freilich immer der krächzende Unglücksvogel; aber der Teufel sei eine Nachtigall oder ein Freudenkuckuck auf einem solchen Felde voller Leichen, wie unser Marsch von Moskau bis hierher. Die Raben sind hier an ihrem Platz.« – »Nun so krächzet denn«, antwortete Rasinski, indem er aufstand. Jaromir, Boleslaw, Bernhard und Ludwig traten gleichfalls um den Obersten herum.
»Wir sitzen richtig im Garn«, fing Regnard an. »Die Brücke bei Borisow ist verbrannt und der Fluß so breit, daß an eine Herstellung nicht zu denken ist. Das andere Ufer ist überdeckt mit Feinden; das ganze Heer Tschitschagows breitet sich an allen Punkten aus, wo man über die Beresina kommen könnte; kurz, ich sehe keine Möglichkeit, den Übergang über den Fluß zu machen.« – »Nur eine einzige Nacht strenger Kälte,« rief Rasinski; »und es wäre nichts verloren.« – »Um so weniger,« erwiderte Regnard, »als ich euch auch eine gute Nachricht mitzuteilen habe, die, daß wir endlich dem nachdringenden Kutusow ein geordnetes Korps entgegenstellen können; denn der Marschall Victor rückt mit zwanzigtausend Mann frischer Truppen heran, auf die wir morgen in der Frühe stoßen müssen. Soeben ist die leichte Kavallerie seiner Avantgarde eingetroffen.«
»Es sind nur so viele Opfer mehr«, antwortete Rasinski düster. »Freilich, wenn es möglich würde, über den Fluß zu kommen, wenn der Himmel ein Wunder täte, wenn er den Strom der Beresina in die Banden des Winters schlüge und ihn stillstehen hieße wie die Sonne zu Jericho – freilich dann könnten uns diese frischen Kräfte Rettung bringen. Es wäre noch eine Möglichkeit,« fuhr er rasch, als sei ihm ein glücklicher Gedanke gekommen, fort, »wenn man Tschitschagow über den Punkt unsers Überganges täuschen könnte! Es müßten falsche Nachrichten ausgesprengt, Demonstrationen den Fluß abwärts etwa nach Ukolada und Beresino hin gemacht und dann plötzlich der Übergang an einer andern Stelle bewerkstelligt werden. Jetzt, da ein frisches Armeekorps uns vielleicht einige Tage Aufschub gewinnen kann, ist dies möglich.«
»Etwas der Art ist im Werke,« entgegnete Regnard; »es werden bereits alle Anstalten dazu getroffen. Die Schwierigkeit ist nur die, das Heer unbemerkt an dem wahren Übergangspunkte zu konzentrieren. Doch es ist zu spät; gute Nacht. Ihr bedürft der Ruhe und ich gleichfalls; morgen, hoffe ich, sehen wir uns wenigstens noch wieder!« Mit diesen Worten wollte er die Hütte verlassen; doch blieb er stehen und warf noch einen zärtlichen Blick auf sein Kind, das in Biankas Armen im Hintergrunde der Hütte mit dieser auf einem Lager, so gut man es von wenigem Stroh und einigen Decken hatte bereiten können, tief schlummerte. Er schlich näher, doch behutsam, um die Schlafenden nicht zu wecken. »Der Himmel beschütze nur diese,« sprach er weich; »was uns anlangt, so wollen wir nicht klagen, denn wir sind da, um zu fallen.« Hierauf ging er rasch hinaus. Rasinski und die übrigen warfen sich wieder aufs Lager, wo sie bald fest entschlummerten. Die Anstrengung führte den Schlaf herbei, selbst wo man wußte, daß man am tiefsten Abgrunde der Gefahr gelagert war.
Am Abende des folgenden Tages erreichte das Heer Borisow, welches hart an den Ufern der Beresina liegt, die hier einem breiten sumpfigen See gleicht. Die feste Brücke über dieselbe war, da die Stadt wenige Tage zuvor den Russen erst hatte entrissen werden müssen, durch Feuer völlig zerstört worden. Der Marschall Oudinot hielt Borisow besetzt. Rasinski hatte in Erfahrung gebracht, daß man, wie er selbst geraten haben würde, alles getan hatte, um den Feind glauben zu machen, man werde den Übergangspunkt südlich von Borisow wählen, wo in der Tat der Fluß einige günstige Stellen und sogar zwei ziemlich gangbare Furten darbot. Der General Laurencé hatte als Chef des Generalstabes, der mit der Herstellung der Brücken beauftragt war, mehrere Juden, welche die Spionsdienste verrichteten, kommen lassen, und fragte sie über jene Furten aus. Er wußte zu gewiß, daß sie, nachdem sie ihre Bezahlung erhalten
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