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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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schreckenvollere Gestalt annahm; es schien ihr fast ein Verbrechen, in diesem großen Untergange sich allein retten zu wollen, nicht Tod und Elend gemeinsam zu teilen. Hätte der Schmerz überall eine edle Haltung gehabt, so würde sie es vielleicht nicht über sich gewonnen haben, nur an ihre eigene Rettung zu denken; so aber brach leider in diesen strengen Prüfungen die tiefe Verderbnis der menschlichen Seele meist erst in ihrer ganzen nackten Abscheulichkeit hervor. Selten zeigte sich eine großartige duldende Unterwerfung unter das zermalmende Schicksal; dagegen desto häufiger jene empörte Wut, jenes Ausbrechen in Flüche und Verwünschungen gegen alles Menschliche, Heilige und Göttliche. Bianka schauderte im Innersten davor zurück; ihr gemartertes Auge flüchtete von diesen Szenen des Grausens, und sie beugte sich über das liebliche Kind auf ihrem Schoße herab, um im Anblick seiner schuldlosen Züge die Entartung der Menschheit zu vergessen. Ach, und gerade dieses Kind, erinnerte es nicht an die unnatürlichste Tat? Stand nicht hinter dem holden Bilde dieses lächelnden Engels die Furiengestalt einer in Verderbnis untergegangenen Mutter, die die heilige Blüte ihres Schoßes im frevelnden Wahnsinn selbst vernichten wollte? Und wenn die Gequälte das Auge wieder aufschlug, was erblickte sie? Jammer, Elend, Verzweiflung; wild tobende Wut gegen Schöpfer und Geschöpfe!
    Der tiefe, in einen Sumpf verwandelte Weg trotzte der übermäßigen Anstrengung der Kräfte. Die vor die Schlitten gespannten Pferde stürzten trotz der unbarmherzigsten Peitschenhiebe, mit denen die Führer sie unter grimmigen Flüchen anzutreiben suchten, zu Boden und vermochten sich kaum noch emporzurichten. Jetzt erst wurde der zu späte Entschluß gefaßt, das Unmögliche aufzugeben. Man spannte die Tiere los und häufte nun Beute und Vorräte auf ihren Rücken; vergebens flehten die Kranken, die Verwundeten, daß man sie retten solle. Die Habsucht, der Eigennutz waren taub; wer noch so viel Kräfte besaß, um für sich zu handeln und zu retten, gedachte der Menschlichkeit nicht mehr. Indes folgte die Strafe auf die Tat; denn kaum hatte man, ohne sich an den verzweifelten Ruf des Erbarmens der Kameraden, die man dem Verschmachten durch Hunger und Kälte preisgab, zu kehren, die überlasteten Rosse einige hundert Schritte fortgetrieben, so stürzten sie abermals zusammen, und jetzt war jedes Mittel, sie aufzustacheln, vergeblich. Heulend vor Wut sah man dann die erbitterten Besitzer ihr schnödes Gut in den Kot treten, von Grimm verblendet, daß sie fast auch die Lebensmittel, denen sie vielleicht am nächsten Tage ihre Rettung vom Hungertode verdankten, vernichteten. Und Hunderte und Tausende gingen an solchen Schauspielen vorüber, und keinen rührten, keinen bekümmerten sie, niemand nahm sich der Bedrängten, Verlassenen an, so hatte die schreckenvolle Wiederholung derselben Qualen selbst das Entsetzlichste zur stumpfen Gewohnheit gemacht, so der unerträgliche Grad der eigenen Marter jedes Gefühl für die fremde getötet! Und nicht allein der Rohe, dem besseres Wissen, Erkenntnis des Wahren und Gewohnheit des Edeln die Brust nicht geläutert hatten, sondern selbst diejenigen, denen das höhere Gesetz der Tugend vertraut sein konnte, hatten es gänzlich vergessen und trugen vom Menschen nur noch die Gestalt. Freilich aber auch diese meist in fürchterlicher Verzerrung und Entstellung durch Hunger, Schmutz, Elend und Krankheit. So sah man höhere Offiziere, selbst Generale, einzeln unter der Masse der Krieger verloren, am Stabe wandern und wie Bettler den Boden verlassen, auf dem sie als Triumphierende eingezogen waren, glücklich genug, wenn sie außer den Mühseligkeiten des Weges nicht noch die Gefahren des Kampfes, den Hohn des Feindes zu dulden hatten, dessen schwärmende Horden asiatischer Krieger das Heer begleiteten, wie eine Schar hungeriger Raubvögel einen verwesenden Körper umflattert.
    Es vergingen einige Tage, an denen sich die düstern Bilder in unablässiger Wiederholung erneuten. Die Hoffnung, das nicht mehr ferne Minsk zu erreichen, wo sich Vorräte in ungeheuerer Masse, Raum zum Obdach des Heeres, und überdies die Unterstützung durch frische wohlgerüstete Truppen vorfand, hielt die Kräfte aufrecht. So erreichten die Trümmer des Heeres Toloczin. Am nächsten Morgen hatte man kaum den Marsch wieder begonnen, als plötzlich ein Offizier dem Kaiser mit Depeschen entgegenkam. Er öffnete dieselben und verriet

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