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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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leise; »denn man darf hier nicht viel zeigen; für eine Fütterung ist noch Vorrat. Aber seht doch einmal dort hinüber, Herr! Das sieht mir ja fast aus, als sollte es uns gelten?« Er deutete bei diesen Worten nach einem Hügel abwärts von den Brücken, von dem man das ganze Tal übersehen konnte, und auf welchem eben eine Batterie auffuhr. »Sollten das Russen sein?« fragte Bernhard, und fast erstarb jetzt auch ihm das Wort auf der Lippe.
    Er hatte es kaum vollendet, als es schon aus der ersten Kanone blitzte und nach wenigen Sekunden das dumpfe Krachen des Knalls rings an den Schneehügeln widerbebte. Gleich darauf schlug eine Kugel mit schmetternder Gewalt in den dichtesten Haufen vor der Brücke, daß er entsetzt nach allen Seiten auseinander stob. Man hatte nicht Zeit, sich zu besinnen und diesen neuen Schrecken zu ermessen, denn gleich darauf folgte ein zweiter Schuß und dann eine volle Lage, die fürchterliche Lücken in diese gedrängten Menschenmassen riß.
    In der ersten Sekunde hielt das Entsetzen die Unglücklichen in starre Bildsäulen verwandelt, und selbst die Sprache versagte ihnen; daher trat eine bange Totenstille ein, die der Donner der Batterie desto furchtbarer zerriß. Dann aber machte sich die Angst in einer heulenden Wehklage Luft, alles überstürzte sich in blinder, wahnsinniger Flucht, gleichviel wohin, wenn man nur diesen todspeienden Schlünden entkam. Reiter warfen sich in den Strom und suchten ihn trotz der Eisschollen zu durchschwimmen; die meisten wurden nach wenigen Schritten von den brausenden Wellen hinweggerissen. Andere hieben die Stränge angespannter Pferde vor fremden Wagen durch, schwangen sich hinauf und wollten sich so gleichfalls schwimmend retten, ohne der Unglücklichen zu achten, die sie nun ganz hilflos zurückließen. Der Lohn ihrer Tat traf sie nach wenigen Minuten. Die Massen wogten so gewaltsam gegen das Ufer des Stroms hinan, daß sie jetzt nicht allein nach der Brücke, sondern gerade in die Flut drängten. Vergeblich kämpften die Vordern gegen dieses lastende Übergewicht; wie gestern Hunderte an der gebrochenen Brücke hinabgestürzt wurden, so wurden heute Tausende in den freien Strom gedrängt. Mütter mit ihren Säuglingen auf den Armen sah man in den treibenden Eisschollen, und vergeblich tönte ihr Ruf nach Hilfe, nach dem Gatten, dem sie erst in diesem Augenblick von der Seite gerissen waren, den aber vielleicht die Flut schon verschlungen hatte, wenn er nicht unter den Füßen der Nachdrängenden zertreten wurde. Die Woge schwoll ihnen bis an den Gürtel, bis an die Brust; noch immer hielten sie die Kinder über der Flut; da erreichte diese das Haupt, sie wurden fortgetrieben, versanken, aber noch im Sinken hoben die starren Hände das teuerste Leben über den schwarzen Abgrund der Wellen empor, bis der Strom alles verschlang und begrub.

Fünftes Kapitel.
    Bianka hielt beide Hände vor das Antlitz und atmete krampfhaft; auch nicht eine Träne hatte sie mehr, so faßte sie der starre Krampf des Entsetzens an. Ludwig und Bernhard traten dicht an sie und suchten sie durch milden Zuspruch zu beruhigen. Jeannette saß leichenblaß und zitternd; auch sie weinte nicht mehr, ihre Lippen bebten, als wollte sie sprechen, doch sie vermochte es nicht. Das Kind schmiegte sich scheu an Biankas Brust.
    Da krachte und schmetterte es plötzlich dicht um sie her, und wie von einem Erdstoß aufgerüttelt fuhren sie von ihren Sitzen auf. »Allbarmherziger Gott«, rief sie, als sie aufblickte, und streckte beide Hände abwehrend vor sich hin. Eine Kugel hatte den vordern Teil des Wagens getroffen, ihn zerschmettert und die beiden Offiziere blutig zerrissen auf den Boden geschleudert. Die scheuen Pferde bäumten sich hoch auf und hätten den Wagen seitwärts gerissen, wenn nicht die Deichsel und die Vorderachse zersplittert gewesen wären. Willhofen sprang herzu, um sie zu halten; Ludwig und Bernhard eilten ihm beizustehen. Doch schon hatte sich Jeannctte mit fliegendem Haar vom Wagen geschwungen, und Bianka, ohne zu wissen, was sie tat, folgte ihrem Beispiel, indem sie das Kind an sich drückte. »Lebt es noch? lebt es?« rief eine männliche Stimme neben ihr, und sie fühlte sich plötzlich von hinten her angehalten. Als sie sich umwandte, stand Regnard vor ihr, den rechten Arm in der Binde tragend; er hatte sich eben zwischen den Wagen hindurchgedrängt. »O, ich habe euch gefunden«, sprach er weich und herzte und küßte das Kind in Biankas Armen, die, noch ganz

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