1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
rötete ihre bleichen Wangen und leuchtete sanft aus ihrem Auge; sie war wie neugeschaffen durch den großmütigen Entschluß der Liebe, der ihrer schönen Seele nicht einmal einen Kampf gekostet hatte. Das düstere Gespenst der Krankheit schien plötzlich verscheucht zu sein und zu fliehen. Sie ließ nicht nach mit Bitten, bis die Gräfin ihr gestattete, die Zeilen der Versöhnung und Vergebung sogleich zu schreiben; selbst die Besorgnis ihrer Pflegerinnen, daß die Kraft ihr fehlen werde, war unbegründet, denn die drängende Heftigkeit ihres Wunsches und Willens hatte sie so aufgeregt, daß offenbar Versagen jetzt schlimmer war als Erfüllen. Aufrecht auf dem Lager sitzend schrieb sie an Jaromir:
»O, mein Geliebter! Die Liebe vergibt alles; sie kann nur weinen und bluten – ich zürnte Dir niemals. Schaudernd sank ich nieder, als Dein hassendes Herz mich verstoßen wollte. Du zeigst mir eine Brust voll Reue, und ich weiß nichts mehr von Schuld; ein Herz voll Liebe, und ich weiß nichts mehr von meinem Schmerz. Nein, Geliebter, fordere nicht, daß ich selbst die Blüten meines Lebens zertrete. Umgib Deine Brust nicht mit dem kalten Erz des Stolzes!
»Freund meiner Seele! Der Richter Deines Fehls ist nur die Liebe, und ihr sanfter Spruch lautet: Alles, alles sei vergessen! Willst Du taub sein gegen ihre süße Stimme – o, so werden Nacht und kalter Schauer mein Herz umgeben, bis es erstarrt und bricht – und ewig verloren ist das selige Glück, auf das es noch jetzt gehofft! Jaromir! Höre die reine Stimme der Liebe! Deine Lodoiska.«
Als Lodoiska vollendet hatte, reichte sie das Blatt der Gräfin dar. Diese las es mit tiefer Rührung; es war ihrer Sinnesart entgegen, allein sie erkannte die heiligen Rechte eines liebenden Herzens, das nur sich selbst fragt und hört. Marie fühlte wie Lodoiska; sie würde sich nicht so demütig, ja fast möchte man sagen so unterwürfig, aber doch ebenso liebend und vergebend gezeigt haben. Da der Schritt nun einmal getan war, zeigte die Gräfin auch ihren vollen tätigen Eifer, alles zur Vollendung zu führen. Sie schrieb sogleich an ihren Bruder, schlug Lodoiskas Brief in den ihrigen ein und fuhr mit beiden zu dem französischen Gesandten, um die Beförderung durch dessen Bureau zu veranlassen, weil auf diese Weise Briefe am richtigsten und schnellsten zur Armee gelangten. Sie wählte sonst diesen Weg nicht; allein, sei es, daß sie zuviel Wichtigkeit darauf legte, gerade diesen Brief möglichst schnell und zuverlässig befördert zu sehen, sei es, daß eine Ahnung sie antrieb, die vielleicht durch einige Andeutungen Rasinskis erweckt war, welcher seinen Brief am Abende des ersten Rückzugstags von Moskau abgesandt hatte, wo sein voraussehender Blick freilich schon manches Unheil wahrsagte, kurz, sie glaubte diese Vorsichtsmaßregeln anwenden zu müssen.
Als Lodoiska wußte, daß ihr Brief auf dem Wege zu dem Geliebten sei und nun mit jeder Stunde ihm näher und näher komme, kehrte Hoffnung und Vertrauen in ihre Brust zurück. Jeder Tag sah sie frischer erblühen, und schon nach Verlauf der ersten Woche konnte sie das Lager verlassen. So schienen denn Glück und Freude wieder in den stillen Kreis der Frauen zurückzukehren, wo so lange nur bange Sorge und tiefer Gram gewohnt hatten.
Zweites Kapitel.
Indes verging eine Woche nach der andern, ohne daß Nachrichten von den Freunden beim Heere einliefen; der November nahte seinem Ende und noch war die heißersehnte Antwort nicht eingetroffen. Lodoiska beunruhigte sich, ob ihr Brief wohl in Jaromirs Hände gelangt sein möge; dann quälte sie sich wieder mit Zweifeln über die Art der Antwort. Dieses unstete Schwanken in ihrer Brust fing schon an sie wieder krankhaft zu reizen. Vergeblich bemühte sich die Gräfin sie zu beruhigen und ihr nach Tagen zu berechnen, daß vor dem Schluß des November eine Antwort gar nicht zu erwarten sei; vergeblich zählte sie ihr alle die Zufälligkeiten auf, welche im Kriege, bei dem zwischen Tauen und Kälte wechselnden Winterwetter, bei der unvollkommenen Einrichtung der Feldposten, auf den Gang des Briefwechsels Einfluß haben mußten. Bange Ahnungen bemächtigten sich der Brust des liebenden Mädchens, und selbst das vermochte sie nicht zu trösten, daß auch Rasinski, Ludwig und Bernhard keine Zeile geschrieben. Freilich war dieser Umstand eine Quelle der Besorgnisse anderer Art für die Gräfin wie für Marien; denn diese fing an, für das Leben der Ihrigen zu zittern, dem tiefern
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