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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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sie so lange alle Gefühle verschlossen in sich trug, bis sie sich Meisterin derselben wußte und ihren festen Entschluß gefaßt hatte. Eine Röte des Unwillens flog öfter über die Züge der Lesenden dahin und wechselte dann mit einem wehmütigen Lächeln. Endlich nahm sie auch Jaromirs Brief und las ihn unverwandten Auges. Da aber traten selbst dieser festen Frau verdunkelnde Tränen ins Auge, und sie sprach halb vor sich hin: »Er ist doch unglücklicher als schuldig!« Dann gab sie Marien die Briefe hinüber und ging, während diese las, im Gemach auf und nieder.
    »O diese Françoise Alisette!« rief sie fast laut aus. »Wer hätte ihr eine so giftige Verschlagenheit zugetraut! So lernt man denn niemals die Tiefen der Brust ergründen! Für leichtsinnig hätte ich sie halten mögen, aber doch würde ich ihr keinen kalten, flatternden, sondern nur jenen schwärmerischen Leichtsinn des Herzens zugetraut haben, der sich selbst mehr täuscht als andere – und dennoch! – Sie sei vergessen und verachtet!«
    Marie hatte geendet. Den Brief Rasinskis hatte sie unter fliegendem jungfräulichen Erröten, gemischt mit sittlichem Unwillen gegen die Verführerin, gelesen, doch Jaromirs reuige Buße drängte ihr mitleidige Tränen ins Auge. »Arme Lodoiska,« sprach sie, »mit welchen Schmerzen sollst du noch gefoltert werden! Doch dein liebendes Herz wird alles überwinden und vergeben.« – »Das darf sie nicht,« sprach die Gräfin entschlossen; »Jaromir ist ihrer nicht mehr wert. Sie muß sich selbst achten! Könnte sie ihm vergeben, er dürfte sich nicht vergeben lassen.« Indem schlug die Kranke die Augen auf; sie glich einer lieblichen blassen Rose; ihr sonst so feuriges dunkles Auge hatte die Flamme verloren, aber den milden Glanz behalten; mit holder Zutraulichkeit wandte sie den Blick zu der mütterlichen und schwesterlichen Pflegerin und sprach: »Ich habe recht sanft geschlummert, mir ist recht leicht und wohl geworden.«
    Die Gräfin beugte sich über sie und hauchte einen milden Kuß auf ihre Stirn. »Das freut mich, Liebe«, sprach sie, und fast hätte sie durch den Ton ihrer Stimme ihre innerste Bewegung verraten. Marie trat mit einem holdseligen Lächeln zu der Kranken und fragte: »Ist dir nun wohl, ganz wohl?« Und sie nahm liebkosend ihre Hände und blickte ihr gerührt ins Auge. »O ja, ich glaube, ich bin ganz gesund«, erwiderte Lodoiska, doch man sah an ihrem Blick, daß sie etwas anderes dachte als sprach; sie schien sich auf irgend etwas Vergessenes mit quälender Unruhe zu besinnen. »Ich weiß nicht, Marie,« sagte sie, indem sie die Freundin forschend anblickte, »es beunruhigt mich etwas, als hätte ich einen schweren Frevel begangen, den ich nicht beichtete.« – »Du, einen Frevel?« antwortete Marie. »Nein, der Gedanke blieb dir noch von den verwirrten Träumen deiner Krankheit zurück. Das holde Licht der Gesundheit wird dies finstere Nachtgevögel bald ganz verscheuchen.« – »Ich fürchte, das wird es nicht,« antwortete Lodoiska; »mir will scheinen, als stehe ein schauerlich Gespenst in meiner Seele, das nicht wanken und nicht weichen will! Ich weiß nur nicht, was es in seine schwarzen Schleier einhüllt; aber es dringt immer näher auf mich ein und ängstigt mich.«
    Da trat die Gräfin mit entschlossenem Schritt an das Lager, nahm die Hand der Kranken und fragte sie sanft, aber mit ernster Stimme: »Meine Tochter, ist dir Wahrheit oder Täuschung lieber? Wirst du jetzt die herbe Wahrheit, die dich niederwarf, als sie überraschend vor dich hintrat, zu tragen vermögen, wenn eine Mutter sie dir sanft enthüllt?« Lodoiska sah die Gräfin mit ängstlich prüfenden Blicken an, als suche sie das Geheimnis zu erraten; eine erwartungsvolle Stille herrschte in dem Gemach. Endlich sprach sie mit Ergebung: »Von dir kann ich alles hören und will ruhig bleiben und dulden, denn du bist ja so gut.«
    Die Gräfin setzte sich an das Lager, legte die Rechte sanft umfassend um Lodoiskas Nacken und ergriff mit der Linken ihre Hand. »Ich will dir sagen, was dir doch nicht verschwiegen bleiben kann«, begann sie. »Erinnerst du dich noch der letzten Worte, die dir Jaromir schrieb?« – »O Gott!« rief Lodoiska ängstlich; »also wäre das kein Traum gewesen! Und die Furie verfolgt mich noch immer?« – »Nein, nein, liebstes Herz,« beruhigte die Mutter sie liebkosend; »es war ein halber Traum, eine halbe Wahrheit. Jaromir klagte dich 623 an, in der Wahnverwirrung seines schuldigen

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