1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
erwiderte Arnheim mit einem Antlitz, auf dem nur staunende Erschütterung, aber weder Freude noch Trauer zu lesen war. »Vor wenigen Minuten ist der französische Kaiser hier eingetroffen; allein, flüchtend, verhüllt! Sein Heer ist vernichtet – den Trümmern desselben ist jeder Weg der Rettung versperrt –« – »Genug, genug!« rief die Gräfin und hielt sich wankend und erblassend an einem Sessel. Arnheim wollte ihr zu Hilfe eilen, doch sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Noch stand sie atemlos, unvermögend zu sprechen, als die Tür sich rasch öffnete; Lodoiska, bleich wie ein Marmorbild, das Entsetzen in dem erloschenen Blick, stürzte herein. Mit ausgebreiteten Armen, als fliehe sie vor einem grauenhaften Gespenst, eilte sie auf die Mutter zu, umschlang sie krampfhaft, und vor ihr in die Knie sinkend, verbarg sie das Angesicht in ihrem Schoße. Wie Niobe im Schmerz erstarrend, stand die Gräfin stumm über die Unglückselige gebeugt und legte ihr die bebenden Hände auf das Haupt.
Arnheim blickte finster zur Erde; zwar sah er aus dieser furchtbaren Nacht schon den Stern des Heils für sein Vaterland schimmern, doch er ging zu blutig auf, um Freude in ein menschlich fühlendes Herz zu strahlen. Das Entsetzen der vernichtenden Nemesis erfüllte die Brust noch zu mächtig, um der Hoffnung Raum zu lassen, die aus dieser Saat des Todes erblühen sollte.
Jetzt trat auch Marie ein; blaß, zitternd, aber mit mehr Liebe als Schrecken in den sanften Zügen. Als sie Arnheim erblickte, überflog sie eine schnelle Röte, und ihr Fuß stockte einen Augenblick; doch sie faßte sich, ging ihm entgegen, bot ihm freundlich die Hand und sprach mit halb versagender Stimme: »O helfen Sie mir diese Unglücklichen trösten!« Dann wandte sie sich zu der Gräfin und Lodoiska und löste ihre Erstarrung durch die warmen Bitten und Tränen der Liebe in einen mildern Schmerz auf.
»Es ist vorbei,« sprach endlich die Gräfin mit fester Stimme; »ich finde mich wieder. Dieses Geschick muß würdig und standhaft erduldet werden. Indem wir die Macht zum Widerstande in uns zu erringen suchen, gewinnen wir sie wirklich. Komm, meine Lodoiska, erhebe dich; zeige, daß du die Tochter eines heldensinnigen Polen bist.« – »Das will ich,« sprach Lodoiska, in deren Augen ein neues Feuer aufloderte; »zeigen will ich es durch die Tat. Nur du, meine Mutter, versprich mir, daß du mich nicht verlassen willst!« Die edeln Züge ihres Angesichts röteten sich mit der Glut, die ein großer Entschluß über die Wangen haucht. Selbst die Gräfin wußte sich diese Erscheinung nicht zu erklären. Nur Marie ahnte die Bedeutung des Versprechens, welches Lodoiska forderte, denn ihre Schwesterbrust war der der liebenden Lodoiska verwandt.
»Soll ich dir erst jetzt versprechen, was ich dir durch jede Tat meines Lebens gelobt, wofür ich dir jeden Tag eine neue Bürgschaft geleistet habe?« erwiderte die Gräfin auf die Bitte Lodoiskas, und in dem Ton ihrer Rede lagen Frage und Vorwurf zugleich. – »Nein, du sollst es nicht!« sprach Lodoiska sanft; »denn ich weiß, du tust, was du mir nicht versagen kannst, ohne mein Leben zu rauben! Ich muß zu ihm – ehe der Krieg ihn hinwegrafft – mein Herz sagt mir, daß er noch lebt, daß ich ihn finden werde – wir müssen uns versöhnen – nein, nicht versöhnen, denn ich zürne nicht und zürnte nimmer; aber er muß den reinen Himmel der Liebe noch einmal wieder lächeln sehen, und wäre es in der letzten Stunde seines Lebens. Mutter, Mutter! wenn du mir das versagst, so bricht meine Brust, und hier wie dort ist nicht mehr Ruhe für mich zu hoffen.« – »Unbegreifliches Kind«, rief die Gräfin, von Rührung und Staunen überwältigt, und drückte das liebende Wesen mit einer Zärtlichkeit an ihr Herz, die die Gewährung der schwärmerischen Bitte stumm verhieß.
Mariens Brust wurde von Wehmut und Beklemmung überdrängt. Die Erschütterung des mächtigen Ereignisses, die Rührung über Lodoiskas Schmerz und Liebe, das schwesterliche Gefühl banger Sorge um den Bruder, und endlich in innerster Tiefe das Bild des edeln Mannes, dem sie entsagt hatte, ohne ihrer Liebe zu entsagen, über dem das Verhängnis, wenn es ihn nicht schon hinweggerafft hatte, ebenso düster schwebte, – alles wogte zugleich in ihrer Seele auf und umwob ihr die Stirn mit verdunkelndem Schleier. Da traf ihr Auge den finster zu Boden blickenden Arnheim, und ein neuer Pfeil der Schmerzen drang ihr in die Brust.
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