1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Was mußte er leiden, dem die Liebe versagt wurde, wo er sah, mit welcher Macht ihre heilige Flamme das zarteste Herz durchdrang! Von diesem Glück war er ausgeschlossen – – ach und Marie, mußte sie es nicht selbst aus ihrer Brust verbannen? Die Gleichheit ihres Geschicks mit dem des edeln Freundes führte ihm ihre reine Seele schwesterlich nahe. Sie trat mit heiliger Offenheit zu ihm heran und sprach sanft: »Edler Freund, vielleicht hat diese Minute mir meinen Bruder geraubt; wollen Sie seine Stelle einnehmen – er lebe oder sei dahin – das Herz hat Raum für doppelte Schwesterliebe.« Er nahm ihre Hand und preßte sie heftig an die Lippen. »O Marie! – sei es ein Vermächtnis oder ein Geschenk – es ist das Schönste, was ich von nun an besitze.« – Doch der Schmerz überwältigte ihn, er eilte hinweg.
Als die drei Frauen allein waren und sie ihre Herzen, die schon so nahe aneinander schlugen, durch die mächtigen Bande eines gleichen Trauergeschicks noch fester vereint fühlten, sprach die Gräfin: »Dieser fürchterliche Schlag, der in Europas einer Hälfte Jammer, in der andern Freude verbreiten wird, weckt in deinem Herzen, Marie, vielleicht eine vaterländische Hoffnung, während das unsere in düsterer Verzweiflung verblutet. Aber laß uns jetzt nicht dessen gedenken, was unsere Seelen trennen könnte; eine gemeinschaftliche Sorge, die um unsere teuersten Freunde, verschwistert uns innig, unauflöslich. Lodoiskas liebendes Herz hat das Rechte und Wahre im raschen Blitz des Augenblicks erkannt. Es treibt sie dem Geliebten entgegen, ob sie dem grausamen Schicksal noch einen lächelnden Augenblick entreißen kann. Dürfen wir sie allein ziehen lassen?« – »Nein, nein!« rief Marie zu Lodoiska gewandt, »meine Ahnung macht mich längst zu deiner Gefährtin. Eine Schwester liebt auch!« – »Ja, eine Schwester liebt auch«, wiederholte die Gräfin, und der Glanz einer Träne füllte ihr großes Auge. »So ist es denn beschlossen, wir brechen auf! Unsere Freunde sind uns nahe; in wenigen Tagen können wir sie erreichen. Vielleicht hat das Schicksal sie aufgespart, damit wir sie noch einmal an unser Herz drücken; vielleicht ist es uns verhängt, ihr brechendes Auge sanft zu schließen; vielleicht kann unsere weiblich pflegende Hand sie dem Tode entreißen. Man mag uns tadeln; unser Herz spricht uns frei. Nur die unedle Menge, die nie in eigener Brust groß und tief empfunden, verkennt jeden freien Entschluß, der sich über Sitte, Gewohnheit und Berechnung stolz erhebt. Ich bin euere Mutter; mir ist das Heiligtum euerer jungfräulichen Sitte anvertraut. Aber ich erhebe das Auge vertrauend zu den Verklärten, deren Schoß euch gebar, denn ich weiß, sie heißen gut, was ich vollbringe.«
Viertes Kapitel.
Nachdem es Rasinski glücklich gelungen war, mit seinen Freunden und den wenigen Kameraden, die ihm geblieben waren, das rechte Ufer des Stroms zu gewinnen, der so viele Tausende verschlang, setzte er seinen Weg noch bis Zembin fort. Hier traf er den Marschall Ney, dem wiederum die schwerste Aufgabe, den Rückzug zu decken, geworden war. Die größten Drangsale und Beschwerden schienen jedoch nun überwunden zu sein, denn man befand sich in einem nicht so verwüsteten Lande mehr, und die Einwohner hegten befreundetere Gesinnungen. Die Sehnsucht nach Erlösung sah den mindesten Hoffnungsschimmer für Erfüllung an; doch der unerbittliche Zorn des Geschicks war noch nicht gesättigt. Er schlummerte nur, um mit neuem Heißhunger auf seine Opfer einzustürzen.
In Zembin gelang es Ludwig, einen kleinen Schlitten, der kaum für zwei Menschen Raum hatte, für Bianka zu erhalten, die bis dahin zu Fuß gegangen war. Rasinski ließ das Pferd eines Verwundeten, dem das Reiten nicht mehr möglich war, einspannen und schaffte diesen selbst dadurch fort, daß er das Geschäft des Führers übernehmen mußte. Bernhard und Ludwig drangen vergeblich in Bianka, daß sie jetzt, da es möglich sei, einen Vorsprung zu gewinnen suchen solle, um Wilna zu erreichen, auf welches alle, wie der verschlagene Schiffer auf einen Rettungshafen, hofften. Sie war unerschütterlich in ihrem Vorsatz, Bruder und Geliebten nicht einen Augenblick mehr zu verlassen. »Nennt es nicht aufopfernde Liebe, was mich euern Bitten Widerstand leisten läßt,« sprach sie; »es ist eigennützige: in euerer Nähe habe ich die furchtbarsten Gefahren, innerlich getröstet, überdauert; fern von euch würde der kleinste Unfall mich ratlos und
Weitere Kostenlose Bücher