1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
entfloh das gräßliche Ereignis schneller als ein flüchtig aufdämmerndes Traumbild.
Bernhard und Ludwig wachten gemeinsam, weil ein einzelner doch vielleicht dem Schlafe zu leicht unterlegen wäre, und teilten die Sorge für die Flamme, mit der das Leben aller zur ewigen Nacht erloschen sein würde. Ein scharfer Nachtwind erhob sich; er streifte ihre Wangen mit eisiger Berührung und bewegte die Wipfel der hohen Tannen, daß der Schnee in leichten Flocken herabgeschüttelt wurde. »Wie uns der Winter im Rücken lauert,« murmelte Bernhard; »es ist mir ordentlich, als fühlte ich die ehernen, starren Tatzen im Genick, mit denen er seine Opfer würgt. Fort, du Raubtier! Hier hat dein Reich ein Ende! Hier brennt die Flamme des Heils, die wir heiliger bewahren wollen als die der Vesta!« – »Wie schmal,« bemerkte Ludwig, »ist der Ring des Lebens, der sich um diese Sonne zieht. Wir liegen zwischen dem Flammentode und dem des Erstarrens auf der fast unteilbaren Grenzlinie.« – »Wenn der Wind uns so scharf anhaucht wie jetzt,« erwiderte Bernhard, indem er die Flamme schürte, »und das Feuer uns so glühende Pfeile ins Auge schießt, so ist es freilich fast, als fühle man beide Martern zugleich. Doch was willst du? Ist es nicht das Bild des Weltalls im kleinen? Unsere Erde, eine Spanne näher der Sonnenflamme, verglüht und zerstäubt in Asche, eine Spanne ferner und alles Leben erstarrt in dem öden, kalten, unermeßlichen Weltraum. Der Mensch ist überall so hilflos, so nichtig als hier. Er verschließt nur sein Auge und blickt nicht hinaus über sein schmales Grenzgebiet im Leben, Wissen und Genießen!«
»Nein, Bernhard, du sprichst nicht wahr, nicht einmal wahrhaftig für dich selbst«, entgegnete Ludwig ernst. »Du denkst so klein nicht vom Leben und mißkennst die Bürgschaft des Ewigen in seiner kurzen Erscheinung nicht. Wer könnte denn dieses Leben nur einen Augenblick ertragen, ohne die Ahnung des Jenseits, die ewig als das Spiegelbild des Himmels unter den bewegten Wellen des irdischen Verkehrens schimmert! Und ist das Schönste, womit sich unser Dasein schmückt, nicht auch ein Abglanz von dort – die Liebe –«
»Aber hab' ich's denn geleugnet«, unterbrach ihn Bernhard, und seine ganze weiche Seele glänzte in seinem Auge. »Sieh' nur diese dort,« er deutete auf Bianka, »sieh' sie schlummern und frage dich dann selbst! Sie macht mich sogar fromm, wie die Leute es gewöhnlich meinen. Denn wenn sie betet und kniet, ist es so schön und wahr, daß ich denke: ›Was kannst denn du Besseres?‹ Nur von ihr lerne ich, daß Demut stärker ist als Stolz; freilich vergesse ich's zu schnell wieder! Gestern, als das Elend uns zu zermalmen drohte, sah ich sie hinter jenem Fichtenstamm knien und beten; und ich tat es auch, aber nur für sie. O, Ludwig, werden wir ihr holdes Leben retten aus diesem Abgrund des Entsetzens, in den wir täglich tiefer und tiefer sinken?« – »Ich hoffe es noch«, sprach der Freund innig bewegt. – »O, jetzt sehe ich's,« erwiderte Bernhard, »wie du besser bist als ich. Ich handle rascher als du, scheine ungebeugter, aber du bist es. Ich fühle, daß mein Hoffen, mein Vertrauen, meine Kraft eine Grenze hat, und ich stehe ihr nahe. Eben zuvor wähnte ich sie erschöpft; bin ich aber erst einmal mutlos, dann werde ich es ganz sein. Du in deiner edlern Ruhe, deiner festen, unerschütterten Männertugend wirst es niemals werden. Ich eile, springe, fliege; so bin ich dir freilich eine Zeitlang voran gewesen. Du gehst festen, ruhigen Schrittes; so wirst du noch aufrecht stehen, wenn ich schon mit gebrochener Kraft am Boden liege! Dann Ludwig – dann beglücke meine Schwester – und grüße die deine! Nein, nein, sprich nichts, ich bitte dich!« rief er heftig, als Ludwig ihm antworten wollte. Er wandte sich ab und hüllte sich dichter ein. Ludwig, der ihn kannte, schwieg; aber seine Seele war voller Liebe.
So saßen sie stumm nebeneinander. Da ließ sich ein leiser singender Ton neben ihnen hören. Es war Jaromir, der schlummerlos mit offenen Augen lag und, unheimlich lächelnd, leise sang. »Er träumt von ihr,« sprach Ludwig, »das ist die Melodie des Liedes, das uns Lodoiska an jenem Abende in Warschau sang. Ich habe die Weise oft von ihm gehört. Also dort weilt seine Seele?« Bernhard betrachtete den Armen mit düstern Blicken. »Dort weilt sie,« wiederholte er langsam, »bei seiner Liebe! Es ist verhängt über uns,« sprach er endlich mit tiefer Stimme, »wir
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