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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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er sich von ihr leiten, und brach nicht mehr in seinen Jammer, nicht mehr in seine Wut aus, sondern lächelte still wie in seligen Träumen. Mit gerührtem Erstaunen gewahrten die Männer diese Macht der reinen weiblichen Seele, und ihre Brust füllte sich mit Demut und Verehrung. Bianka aber schritt dahin wie ein Engel der Barmherzigkeit, der einen Verirrten durch die Wüste führt.
    Es war die letzte Prüfung! Endlich schlug die Stunde der Erlösung. Plötzlich tönte durch die Reihen von den Vordersten her ein Ruf des Staunens und der Freude, dem die Schwingen im Augenblick mächtig und mächtiger wuchsen. Er verwandelte sich in ein anschwellendes Brausen, denn alles fragte und forschte nach der Ursache, und im beschleunigten Lauf drängte die Menge vorwärts, soviel die aufs äußerste erschöpften Kräfte es noch zulassen wollten. Endlich erreichte auch Rasinski mit den Seinigen die Biegung des Weges, woher der Freudenruf erschollen war, und Wilna, dieses langersehnte Ziel der Rettung, diese erste bevölkerte, wohnliche Stadt, lag vor ihren Augen. Bei diesem Anblick jauchzte die Seele auf im Dank gegen den Allbarmherzigen; die Freunde hielten einander in den Armen, heiße Tränen des dankenden Entzückens flossen, denn das Ufer der Rettung lag endlich vor ihrem Angesicht nach unnennbaren Drangsalen, Schmerzen und Opfern. Selbst die bittersten Rückerinnerungen schmolzen in dieser Minute hinweg vor dem Sonnenblick des Glücks; nur der Pfeil der Gegenwart, der noch in der frischen Wunde des Herzens steckte, schmerzte brennend.
    Mit Jammer betrachtete das Auge den unglückseligen Freund, den das schwerste Verhängnis getroffen, die Stunde der Erlösung nicht mehr empfinden zu können. Nur einen Tag früher, und auch ihm hätte die milde Sonne der Freude gelächelt! Doch mit dumpfem Donner schlug das grausame Geschick die Pforten zu, eben da er vor den Eingang trat, und verwehrte ihm auf ewig die Rückkehr in die glückseligen Gefilde des Lebens. Gleichgültig sah Jaromir den weinenden Dank der Freunde. Nur einen Augenblick schien es, als dämmere ihm ein ferner Schimmer der Wahrheit auf, er atmete rascher, beklemmter; es war, als wollte der Strom der Freude gewaltsam hervorbrechen aus der Brust und die finstern Banden des Wahnsinns sprengen. Doch sie blieben mächtiger; seufzend senkte der Unglückliche wieder das Haupt, und das aufflammende Feuer seines Auges erlosch im matten Glanz. »Führe mich weiter, Lodoiska«, sprach er endlich bittend zu Bianka, die, von der Freude überwältigter als von Schmerz und Schrecken, in Ludwigs Armen hing, unvermögend, sich auf den wankenden Knien zu erhalten. Erst das Gefühl, daß ein grenzenlos Unglücklicher ihrer bedürfe, gab ihr die Kraft wieder. Sie reichte ihm aufs neue den leitenden Arm, und sie wanderten vorwärts, von den Kräften der Hoffnung frisch belebt.
    Doch das nahe Ziel war schwer zu erreichen. Denn schon sah man die Straßen breit vom schwärzlichen Gewimmel der Unglückseligen überdeckt, welche der Anblick des ersehnten Ziels ihrer Leiden aus der starren Betäubung geweckt hatte, in die sie durch das Übermaß der belastenden Qualen versenkt waren. In blinder Hast – wie es denn überhaupt der Fluch war, der auf diesem ganzen Zuge lastete, Heil und Verderben mit gleicher Verblendung zu verkennen – stürzten sie gegen die Stadt hinan. Schon entstand ein treibendes, wogendes Gedränge, obgleich noch das offene Feld eine freie, zerstreute Verbreitung der Massen verstattete. Wie sollte es werden, wenn engere Eingänge das Abströmen dieser Flut hemmten? Rasinski sah es mit Besorgnis. Er fürchtete eine zweite, schreckliche Beresina, weil nicht einmal der Feind, sondern nur die rasende Verblendung der Freunde das Verderben zu beschleunigen drohte. Wie dort folgte der ganze Strom einem Zuge; von einem tierischen Triebe bewußtlos gedrängt, ging jeder ohne Urteil und Besinnung dem nach, der vor ihm wanderte. Die Begierde, das Ziel zu erreichen, ließ nur dieses sehen, und auf dem nächsten Wege wollten es alle gewinnen. Rasinski spähte umher, ob sich nicht ein Seitenweg auftue, den man unbemerkt einschlagen könne; denn er befürchtete einen zu starken Strom nachzuziehen, wenn er mit seinen Freunden plötzlich querfeldein wanderte. Jetzt erreichte man schon einige Häuser, die vereinzelt vor der Stadt lagen, und die Vorstadt war nahe. Hier ließ sich der Plan ins Werk setzen. »Haltet euch dicht an mich, Freunde,« sprach er voranschreitend, »und folgt mir

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