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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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sollen untergehen. Der Abgrund klüftet sich zu tief. Ich kann nicht mehr hinabblicken, sonst stürze auch ich schwindelnd hinunter!« Der Wahnsinnige sang leise fort und blickte dabei mit unendlichem Schmerz zu den Freunden auf. Nach einigen Minuten erstarb der Ton auf seiner Lippe, und er verfiel wieder in stumpfe Bewußtlosigkeit.
    »Wäre unsere Zeit vorüber, daß ich schlafen könnte!« rief Bernhard. »Schlafen! Ich bin müde. Das plumpe Tier wälzt sich schwer über meine Seele hin und erstickt ihre letzten glimmenden Funken! Es ist vorbei mit Menschlichkeit, Freundschaft, Liebe und Haß; alles stumpf und öde und tot. Denn wer könnte sonst schlafen bei solchem Elende! Was ist die Uhr?« – »Gleich Mitter- nacht!« – »So sind wir bald erlöst!« Die Minuten schlichen mit schwerem schleppenden Schritt vorüber. Endlich war die Stunde abgelaufen. Sie weckten ihre Nachbarn und legten sich zum Schlaf nieder, um die Bürde aller Qualen, alles Schauders, aller Schmerzen in den öden Raum dumpfer Vergessenheit hinabzusenken.

Fünfzehntes Buch.
Erstes Kapitel.
    Als Rasinski alles zum Aufbruch antrieb, hatten sich dichte Morgennebel herabgesenkt und hüllten den Wald in graue Schleier ein. Aber es war nicht feuchtes wogendes Gewölk, welches zwischen den Gebüschen hinzog, sondern schwebender Eisstaub, der die Atmosphäre verhüllte. Er atmete sich wie ein starkes Gift ein. Die Stunde der Vernichtung alles Lebenden schien gekommen. »Auf, auf, ihr Schläfer!« rief Rasinski; »vorwärts, heute könnt ihr das Ziel euerer Leiden erreichen!«
    Aber nur die wenigsten vernahmen seinen Ruf. Einige regten sich noch dumpf aufstöhnend und taumelten dann wieder zurück, um den Überrest des Lebens auszuhauchen; die meisten lagen schon in den starren Armen des Todes, und nur ein Kreis von Leichen umgab das verglimmende Feuer. Jaromir richtete sich empor. Er sah einer Geistergestalt ähnlich; aber noch war er am Leben. Ludwig und Bernhard fühlten, daß sie heute ihre letzten Kräfte anstrengten. Seltsamerweise schien Bianka am wenigsten erschöpft, als ob der weibliche Körper der weiblichen Seele gleiche und wie sie im Dulden stärker als der männliche sein wollte.
    Mit schauderndem Gefühl mußte sie über den Kreis von Erstarrten hinwegschreiten; weithin war der Boden damit überdeckt, so daß sie es nicht vermeiden konnte, den Fuß auf menschliche Körper zu setzen. Jaromir schien nichts zu empfinden; er schritt neben Rasinski hin und folgte jedem seiner Winke mit willenlosem Gehorsam.
    Es herrschte noch eine Todesstille in dem öden, dämmernden Walde; denn die, die um die verglimmenden Feuer gelagert waren, schliefen noch fest oder lagen schon in den unauflöslichen Armen des Todes. Man ging an hohen Fichtenstämmen vorüber, von denen düstere Zweige sich herabsenkten. Hier erblickte man Erstarrte in allen Stellungen, als habe der Tod sie plötzlich ergriffen und in Steinbilder verwandelt. Einige hielten noch die Axt in krampfhaft geballter Faust, mit der sie den ohnmächtigen Versuch gemacht hatten, diese Riesenfichten zu fällen. Andere hatten ebenso vergeblich Feuer um die Stämme gelegt, um sie so in Flammen zu setzen; man sah sie kniend, das Antlitz auf die knotigen Wurzeln gebeugt, in der Hand noch den halbangeglimmten Kienbrand haltend. Vom Nebelgeriesel umflossen, glichen diese Gestalten riesigen Schattenbildern, in unheimlich gespenstischer Todesstille und Versteinerung.
    Rasinski beschleunigte seine Schritte, um dem grausenvollen Orte zu entfliehen. Aber die ganze Straße war mit Schrecken und Entsetzen umlagert, und bei jedem Schritte stieß der Fuß auf ein grauses Hindernis. Endlich nach einer Stunde lichtete sich der Wald, und da die Nebel sanken, erblickte man von fern ein Haus, das Obdach und Wärme gewähren mochte. Mit verdoppelter Eile schritten die Wanderer darauf zu. Doch als sie näher kamen und die hohlen Fenster, aus denen Scheiben und Holzwerk herausgebrochen waren, und Feuerspuren auf dem Boden gewahrten, sahen sie wohl, daß auch diese Hoffnung täusche und hier keine Stätte lebender Menschen zu treffen sei. Doch trat Rasinski heran und öffnete das Tor des großen Gebäudes, welches einer Scheuer oder einem Stalle glich. Aber grausend fuhr er zurück, denn er sah nur Leichen, die in ekelm Gedränge, ja selbst übereinander gehäuft, den Boden gräßlich bedeckten und mit offenen Augen emporstarrten. »Lebt hier noch irgendein menschliches Wesen?« fragte er voller Grauen mit lauter

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