Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
Vom Netzwerk:
Krieger? Wißt ihr mehr von ihm als er von euch? Gebt ihr euch nicht aufs neue preis, wenn ihr in das Getümmel geratet, wenn–––– ach, ihr überlaßt mich der furchtbarsten Folter der Angst!«
    »Ich habe mir alle diese Einwürfe selbst gemacht, Geliebte,« erwiderte Ludwig mit sanftem Ernst; »aber die Stimme meiner Brust widerlegt sie alle. Vor wenigen Minuten hielt ich's für vernünftig, wenn wir uns erst kräftigten und dann gegenseitig nacheinander forschten, denn ich wähnte, diese Stadt sei für alle der Strand der Rettung. Da aber auch sie, wie alles in diesem fürchterlichen Kriege, zur Klippe des Verderbens wird, so tritt die Notwendigkeit ein, gleich zu handeln. Auch fühle ich mich durch Wärme und Speise schon wieder stärker. Wie, wenn er, wie die andern, zurückgewiesen in den Straßen irrte und nur unser Säumen sein Verderben verschuldete? Nein, Teuerste, wir müssen hinaus, ihn zu suchen.« Bernhard hatte indessen schon seine Pelzmütze wieder aufgesetzt; Axinia versorgte beide mit Pelzstiefeln und andern wärmenden Kleidungsstücken und gab ihnen Rum und Brot mit, um sich oder andere, die es bedurften, zu laben. Sie gingen und versprachen in einer Stunde zurückzukehren.
    Die Stadt bot ein schreckenvolles Schauspiel dar; vor den Magazinen, vor den Krankenhäusern waren die bejammernswerten Flüchtlinge versammelt und umlagerten die Türen, die ihnen die Strenge des Befehls verschlossen hielt. Geheul, Flüche und Gebete schallten durcheinander; die Bewohner bargen sich in ihren sichern Häusern und schlossen sich furchtsam ein. Denn freilich glichen die Ankommenden, von Rauch und Erde geschwärzt, mit dem hohlen Blick der Angst und des Hungers, einer Schar grausenvoller Harpyien, die sich mit ekler Gier auf Speise, Trank und alles, was ein wohnlich behagliches Leben verriet, zu stürzen drohte. Wo man ihnen mitleidig eine Pforte geöffnet hatte, da mußte man es schnell bereuen, denn es gab kein Maß mehr, sie drangen ein wie durchbrechende Wasserfluten und, nur von dem Stachel der Pein getrieben, hatten sie auch jedes Gefühl des Dankes, der Schonung verloren. Wie der Fluch überall waltete, wohin dieses Heer seinen Fuß setzte, so auch hier; die Rettung war da, das Ziel des Jammers erreicht, aber mit grausamem Hohn lauerte das Schicksal gerade hier am tückischsten auf. Es riß den Unglückseligen den Becher der Erquickung von den Lippen, eben da sie ihn berührten, und ließ sie in furchtbarer Folter verschmachten.
    Vergeblich irrten Ludwig und Bernhard durch dieses Getümmel hin, wo keiner sich mehr um den andern bekümmerte, sondern jeder nur mit blinder Wut die Rettung ertrotzen wollte; vergeblich riefen sie Rasinskis und Jaromirs Namen laut durch die Gassen – sie entdeckten keine Spur von ihnen. So sollten denn auch sie diese schneidende Verhöhnung des Geschicks erfahren, den edelsten Freund, der ihr Schutz und Retter in tausend Gefahren des stürmischen Meeres gewesen, am sichern Ufer zu verlieren, wo sie freudig dankbar in seine Arme sinken wollten! Hoffnungslos wandten sie endlich die Schritte wieder zurück nach ihrer Wohnung, denn auch die eigene Kraft verließ sie. Durch lange Gassen voll erstarrter Leichen, die an den Häusern lagen, an deren Pforten sie vergeblich geklopft, mußten sie den Heimweg suchen. Noch immer wuchs der Ingrimm des Winters; wer, sich wenige Sekunden willenlos hingab, lag erwürgt von seiner versteinernden Umstrickung.
    So waren die Gassen, die noch kurz zuvor von Jammer und Wutgeschrei hallten, bald zu öden Kirchhöfen geworden, wo keine Spur des Lebens mehr sich regte und der Tritt schauerlich widerhallte. Mit unnennbarem Schmerz und Grauen in der Brust näherten sich die Freunde dem Hause Axiniens. Keiner sprach, keiner gestand dem andern, was er fürchtete, keiner wagte eine Frage. Schon waren sie der Schwelle ganz nahe, als sie einen mit Postpferden wohlbespannten Schlitten in das Tor fahren sahen. Voll Erstaunen über diese Erscheinung, die sie seit Monaten nicht gehabt und die ihnen vollends jetzt in dieser Stadt des Entsetzens auffiel, richteten sie ihre Blicke dahin.
    Plötzlich rief Bernhard aus: »Allmächtiger Himmel! Ich werde wahnsinnig oder sehe Geister! Es ist Marie!« Er packte Ludwig mit krampfhafter Wildheit am Arm und deutete vorgebeugt, heftig zitternd hinüber nach einer weiblichen Gestalt, die mit eben zurückgeschlagenem Schleier aus dem geöffneten Schlittenfenster blickte. Kaum wurde Ludwig ihrer ansichtig, als auch er das

Weitere Kostenlose Bücher