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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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geliebte Antlitz erkannte und mit dem Ruf: »Schwester, Schwester!« ihr mit wankenden Schritten entgegenzueilen versuchte. Doch es war unmöglich, die Kräfte verließen ihn; auch Bernhard stand wie an den Boden gefesselt und schlang die Arme um den Freund, kaum wissend, ob er sich oder ihn aufrechterhalten wolle. »Schwester!« – »Marie!« tönte ihr Ruf noch einmal, und jetzt erst hörte sie ihn. Sie stieß einen lauten Schrei des Schreckens und der Freude aus, die Tür des Schlittens flog auf, und, noch ehe die Pferde standen, sprang sie hinab, sank in die Knie, raffte sich wieder auf und stürzte betäubt und atemlos den offenen Armen des Bruders entgegen.
    Sprachlos hingen die Geschwister aneinander und konnten sich nicht fassen in ihrer Liebe, in ihrem Glück. Vor Bernhards Auge wurde es dunkel, ein trüber Tränenschleier verhüllte es; er wandte sich ab und weinte, bezwungen von tiefster Wehmut. Heftig riß er sich endlich auf und sprach: »Ich habe ja auch eine Schwester und kann in ihren Armen glücklich sein!« Er wollte sich rasch umwenden und Hineineilen. Da trat Marie vor ihn wie ein holdes Engelbild und sprach sanft anredend seinen Namen. Er blickte auf; in ihren Augen standen selige Tränen, ein verklärender Schmerz veredelte ihre Züge, die Lippe flüsterte nur leise, weil die Wallungen der Brust ihr die Stimme raubten: »Bernhard, lieber Freund!« – Er ergriff ihre dargebotene Hand; – die Minute war übermächtig, wie mit unsichtbarer Gewalt drängte es ihn, das süße Wesen in seine Arme zu ziehen, es zu umfassen und unauflöslich am Herzen zu halten. Doch ein Blick auf ihr jungfräuliches Antlitz, in dem heiliges Vertrauen und zarte Scheu zugleich wohnten, ließ ihn vor seinem Ungestüm zurückbeben, und er bezwang sich mit männlicher Kraft. Sanft drückte er die Lippe auf ihre Hand und sprach dann: »Marie! auch ich habe eine Schwester gefunden. O, ich bin jetzt ganz umgewandelt!«
    Sie wollte seine Worte erwidern, als er sich selbst durch den erstaunten Ausruf: »Wie? die Gräfin!« unterbrach und alle Schrecken und Schmerzen zugleich empfand, welche ihre Erscheinung in diesem Augenblicke erwecken mußte. Die Gräfin hatte bei Mariens Ruf und ihrem Enteilen sogleich anhalten lassen, und folgte ihr mit Lodoiska. Diese letztere war vom freudig überraschenden Schreck so ergriffen, daß sie sich nur zitternd, mühsam von ihrer mütterlichen Freundin geführt, zu nähern vermochte. »O Freunde!« sprach die Gräfin bewegt, doch mit Fassung, und reichte beiden die Hand zur Begrüßung dar. »Sagen Sie mir schnell,« fuhr sie fort, »was wissen Sie von meinem Bruder, und Jaromir –«
    »Sie wanderten mit uns hier ein,« unterbrach Bernhard die Fragende schnell, damit sie nicht auch Boleslaws Namen nennen solle; »doch im Gedränge verloren wir einander. Aber folgen Sie uns; wir haben hier ein Obdach für Sie. Die Stadt ist überfüllt mit Soldaten; Sie möchten schwerlich ein Unterkommen finden!«
    Die Gräfin nahm Bernhards Anerbieten sogleich an, doch warf sie einen unruhigen Blick auf ihn und Ludwig, deren Züge keine Freude ausdrückten. Lodoiskas Auge hing angstvoll an Bernhards Lippen, während er sprach; eine Ahnung der Wahrheit schien sie zu durchbeben, denn sie wurde bleich wie der Schnee, auf dem sie stand, als sie den Namen des Geliebten hörte. Bernhard führte die Gräfin ins Haus, dessen Tür Axinia, die die Kommenden aus dem Fenster bemerkt hatte, bereits öffnete. Ludwig folgte, die Schwester am Arme, an deren Seite Lodoiska mit wankenden Schritten ging. Voll Erstaunen erblickte Axinia die fremden Damen und sah Bernhard fragend an, als wolle sie sagen: woher kommen diese und wohin soll ich sie beherbergen? »Schläft die Fürstin?« fragte er. – »Sie ist so erschöpft, daß sie in tiefer Betäubung liegt,« erwiderte Axinia; »doch kann ich das, nicht Schlaf nennen, denn sie fährt oft verstört empor und ruft die Namen Jaromir, Rasinski.« Bernhard erschrak, denn diese Antwort enthüllte fast alles. »Was bedeutet das?« rief die Gräfin; »ich beschwöre Sie, verhehlen Sie mir die Wahrheit nicht über meinen Bruder und Jaromir. Auf ihren Tod ist unsere Seele längst gefaßt und wird das Unvermeidliche ertragen. Diese Spannung der Angst sprengt meine Brust, wie soll Lodoiska sie ertragen?«
    Glücklicherweise war diese noch so weit zurückgeblieben, daß sie das Gespräch nicht vernommen hatte. Bernhard erwiderte leise: »Ich kann Ihnen die Angst nicht ersparen, doch

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