1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
sagen schien: Nicht wahr, ein prachtvolles Schauspiel? Die es gemeinsam genossen, verbindet die Erinnerung auf lange Zeit!
Rasinski war durch Alter, Entschiedenheit, Übergewicht an Einsicht und Erfahrung der stillschweigend anerkannte Gebieter seiner Umgebungen; so gehorchte man ihm auch ohne weiteres bei den Anordnungen der Reise; denn er wußte überall das rechte Maß und das, was sich für den Augenblick am besten schickte, glücklich zu treffen. Er war es, der den Weg fortsetzte, die andern folgten ohne Zwang, aber doch unwillkürlich.
Über eine Stunde lang ritt man in den sogenannten Schüllenen auf breiten, nackten Granitplatten hin; von beiden Seiten stiegen die nackten Felswände auf, doch zur Rechten drängte sich die Reuß, in einer ununterbrochenen Kette von Wasserfällen in das Tal hinabbrausend, zwischen dem schmalen Pfade und der felsigen Mauer des jenseitigen Ufers ein. Über die nächsten Felsabstürze ragten hohe, zackige, ganz mit Schnee bedeckte Gipfel der Alpen herein, die bald, in graue Wolkenschleier gehüllt, das glänzende Haupt verbargen, bald, blitzend in dem kalt abprallenden Sonnenstrahl, sich mit kühnen Umrissen auf dem tiefblauen Grunde des Himmels abzeichneten. Wäre es nicht zu früh in der Jahreszeit gewesen, so würde das Tal von nun an bewachsener und freundlicher geworden sein. Indessen herrschte hier noch viel mehr als auf der freiern Simplonstraße der Winter, und der Schnee deckte noch die meisten Felskuppen, ja oft auch noch die Wipfel der Schwarztannen, die nach und nach häufiger zu werden anfingen. Allmählich wurden die Höhen jedoch waldig und buschig und von Zeit zu Zeit sah man schon einen grünen, hellen Grasstreifen unter der dünnen Schneedecke hervorschimmern.
Die Reise wäre trotz der zu frühen Jahreszeit noch überreich an schönen Eindrücken gewesen und würde für Ludwig durch das Interesse, welches ihm seine Begleiter einflößten, gewiß zu einem der erfreulichsten Erlebnisse geworden sein, wenn nicht der Schmerz sich mit steigender Kraft seiner Seele bemächtigt hätte. Eine Zeitlang mochten die neuen Umgebungen, der Anteil an den Begleitern die wunderbare Natur, ja selbst Sonnenlicht und heiterer Himmel mit ihren vereinten Kräften dem tiefen Gram seiner Seele einigermaßen das Gleichgewicht halten. Jetzt aber, da diese frischen Reizmittel sich abgestumpft hatten, da die Hoffnung, doch noch das Ziel seines Strebens zu erreichen, mehr und mehr schwand, die Angst, es auf immer zu verlieren, höher und höher stieg, jetzt ward seine ganze Seele wieder der ungestillten Sehnsucht zum Raube, die unsere Brust vielleicht noch heftiger und schmerzlicher erregt als ein entschiedener Verlust. Denn bei diesem wirkt jede dahineilende Minute beruhigend, heilend; bei jener aber spannt die langsam verrinnende Zeit das Herz auf eine gesteigerte Folter, wenigstens so lange, bis die völlige Betäubung und Ermattung durch den Schmerz und die dumpfe, abgestumpfte Ruhe eintritt, die dem halben Tode gleicht.
Schon bei guter Zeit erreichte man das Dorf Am Steg, wo das Schächental sich in wilder Zerklüftung von dem der Reuß abzweigt. Hier frühstückten die Reisenden und setzten dann den Weg nach Altorf fort, der im breitern, grünen Tale an frischen Wiesen entlang führt und nicht mehr von dem donnernden Getöse der Reuß, sondern nur von einem muntern, jugendlichen Brausen und Rauschen derselben begleitet wird. Die Reisegefährten Ludwigs wollten den Vierwaldstätter See beschiffen und eilten deshalb, Flüelen zu gewinnen, um womöglich zum Abend noch Luzern zu erreichen. Ludwig aber hatte jetzt nur noch die einzige Hoffnung, den Gegenstand seines Suchens auf der nächsten großen Straße nach Deutschland zu treffen, und war daher entschlossen, zumal da er den See und seine Merkwürdigkeiten bereits kannte, seine Reise so rasch als möglich über Zürich nach Schaffhausen fortzusetzen. Er beschloß daher, sich von seinen Begleitern zu trennen. Rasinski, dessen aufmerksamem Blicke selten etwas entging, fragte ihn nach seinem Gepäck. Ludwig hatte sich schon darauf gefaßt gemacht und eine Ausflucht vorbereitet. Er erwiderte, daß er, und dies war richtig, sein größeres Gepäck nach Heidelberg vorausgeschickt, das geringere aber, und hier berichtete er unwahr, durch die Nachlässigkeit oder Untreue eines Vetturino auf dem Wege von Mailand nach Duomo d'Ossola eingebüßt habe.
Mit freundschaftlicher Bereitwilligkeit, aus dem Felde her daran gewöhnt, das Letzte gern
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