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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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sein, die Reise mit Ihnen gemeinschaftlich fortzusetzen, daß ich von meinen Kameraden beauftragt bin, Sie darüber zu befragen; ein Auftrag, den ich sehr gern vollziehe, selbst auf die Gefahr, Sie erzürnt zu haben.«
    Ludwig entschuldigte sein langes Schlafen und versprach sogleich aufzustehen und in den Frühstückssaal hinunterzukommen. In wenigen Minuten fand er sich daselbst ein. Die Offiziere grüßten ihn mit Herzlichkeit. Rasinski, der alle geselligen Beziehungen gern soweit als möglich auszudehnen schien, erklärte, daß er die Veranlassung gewesen, auf Ludwig zu warten, weil man sich unmöglich habe entschließen können, vor ihm abzureisen und ihn die berühmte Gotthardstraße allein passieren zu lassen. »Zwei Menschen,« meinte er, »die zusammen über die Teufelsbrücke gegangen sind, bleiben durch diese Erinnerung für das Leben so verbunden wie die beiden Ufer der Reuß eben durch diese Brücke. Selbst der wildeste Strudel des Lebens wird nicht alle Fäden zwischen ihnen zerreißen, so unzerstörbar sind gemeinsame, anziehende Erlebnisse und Erinnerungen.« Ludwig empfand diese Wahrheit und dankte dem Grafen mit warmer Aufwallung für sein freundschaftliches Benehmen. Überdies der frische, winterliche Morgen, das kräftige Körpergefühl, die wohltuende Zuvorkommenheit der Gefährten, alles zusammen wirkte so glücklich auf ihn, daß er sogar eine Art von Heiterkeit wiedergewann, obgleich Biankas Bild nicht aus seiner Seele wich und als eine stumme, trauernde Gestalt mitten in den schönen, frischen Gemälden der Gegenwart stand, die ihn umgaben. Der Schmerz um sie drang durch alle die muntern und rauschenden Lebensmelodien, die er um sich her vernahm, wie ein langgehaltener Klageton mit unablässiger Beharrlichkeit hindurch.
    Die Maultiere waren gezäumt; die Führer standen bereit. Man verließ das stattliche Gasthaus der Drei Könige zu An der Matt und ritt nun das Tal abwärts, dem schwarzen Eingangstor desselben entgegen. Wie mußte die Ähnlichkeit der Umgebungen Ludwigs Erinnerungen mächtig erwecken. Wie auf dem Simplon öffnete sich jetzt die düstere Höhle, das Urner Loch genannt; wie dort brauste daneben der Strom, wie dort fiel in der Mitte durch ein großes vergittertes Oval augenblicklicher Lichtschimmer hinein, und man sah die Reuß, einem weißen Gespenst ähnlich, schäumend vorüberschießen. Jetzt betäubte der furchtbare Donner des Stromes das Ohr. Die Kluft öffnete sich, und man stand in dem von turmhohen Felsen umstarrten Engpaß, wo die tobende Reuß sich tief in den Abgrund hinunterstürzt und in ihrer Wildheit alle Schranken der Ufer zu durchbrechen und zu zertrümmern droht. Über diesen wogenden, zischenden Kessel ist die schmale Brücke mit so verwegener Hand geworfen, daß die Sage fast recht zu haben scheint, wenn sie behauptet:
Sie ist nicht erbaut von Menschenhand,
Es hätte sich's keiner verwogen.
     
    Als die Wanderer über den Steg ritten, zitterte er unter ihnen. Graf Rasinski hielt einen Augenblick an und starrte in die Felskluft über sich hinauf und in den schäumenden Abgrund unter sich hinab. Er wollte etwas sagen; allein das Getöse des Wassersturzes übertäubte jede menschliche Stimme. Und dennoch herrschte hier das schauerliche Gefühl einer ewigen Stille und Öde, denn kein Vogel regt sich, kein Insekt summt, kein Halm, kein armes Moosfädchen grünt, sondern nur die starren, unbeweglichen Granitmassen ragen zackig in den blauen Äther empor. Man fühlt gewissermaßen mitten in dem tobenden Donner der Reuß, daß, sowie der Strom versiegte, auch jeder Laut erstorben wäre, und man wie in einer steinernen Grabeshöhle der Natur stehen würde.
    Eine Zeitlang verweilten die Reisenden und ließen den mächtigen Eindruck dieses wilden Gemäldes still in sich nachwirken. Ludwig beobachtete mit einer eigenen Bewegung des Gemüts einige silberweiße, leichte Wölkchen, die in dem schmalen blauen Raum des Äthers, den man zwischen den Felsenmauern erblickte, über das Tal hinwegzogen. Sie schienen wie selige lächelnde Geister in jenen glücklichen Räumen des Lichts hoch über dem schauerlichen Abgrunde der Verdammnis dahinzuschweben. Ludwig verlor sich, den Blick nach oben gerichtet, in träumendes Sinnen. Rasinski weckte ihn daraus, indem er an ihm vorüberritt ihn leicht auf die Achsel schlug, dann seine Hand ergriff, sie herzlich drückte und ihm durch ein ernst-freudiges Zuwinken (denn der Donner des Wassersturzes versagte die Mitteilung durch Worte) zu

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