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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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ausdrückte als die gewöhnliche Freude eines Soldaten, welcher beim Beginn eines Feldzugs eine Reihe glänzender Taten und Hoffnungen unbestimmt in der Zukunft schimmern sieht.
    Ludwig schwieg. Sein deutsches Herz sah mit unwilliger Wehmut die Scharen fremder Krieger aufs neue sein Vaterland überschwemmen; doch sagte ihm die unabweisbare Richterstimme der Wahrheit, daß Deutschlands Schmach nicht unverdient sei, und daß, wie schwer das fremde Joch sein mochte, wie hart es war, sich ohne Wahl und unbedingt dem Sieger anschließen zu müssen und seinen kolossalen Zwecken zu dienen, es, wenngleich demütigender für die Fürsten, doch für die Völker immer noch ehrenvoller blieb, als der feigen, elenden, schmachvollen, eigennützigen Politik preisgegeben zu sein, wodurch seit einem Jahrhundert, vorzüglich aber seit dem Tode des großen Friedrich die deutsche Nation von ihren eigenen Fürsten so tief herabgewürdigt worden war. Die drei Worte des Fremden: »Wir hoffen es«, weckten daher den ganzen innern Zwist seiner Brust so lebhaft wieder in ihm auf, daß sogar die schmerzliche Besorgnis, die ihn seit gestern erfüllte, einen Augenblick dadurch verdrängt wurde.
    Der Fremde schien die Bewegung, die in Ludwigs Seele vorging, zu durchschauen. Nach einigen Augenblicken allgemeiner Stille erwiderte er mit ruhiger Würde, und zwar in deutscher Sprache: »Es befremdet Sie, mein Herr, daß ich von einem aller Wahrscheinlichkeit nach furchtbaren Kriege sagte: wir hoffen ihn; es befremdet Sie um so mehr, da Sie, wie ich höre, ein Deutscher sind. Wir sind es durch langen Aufenthalt halb und halb: erlauben Sie daher, daß wir uns in der Sprache Ihres Landes unterhalten. Es muß Ihnen vielleicht frevelhaft leichtsinnig scheinen, daß wir auf eine Wendung der Weltbegebenheiten hoffen, der halb Europa mit Zittern, mit düsterer Trauer entgegensieht. Es ist freilich ein hartes Los, sich in einer Lage zu befinden, wo man nur aus einem großen, allgemeinen Unheil Hoffnungen für die eigenen teuersten Güter schöpfen kann; allein wir sind in diesem Fall.« Hier hielt er einen Augenblick inne, als hindere ihn die Bewegung seines Gemüts weiterzusprechen. Die edeln Züge seines Angesichts erhielten durch den Ausdruck eines erhabenen Schmerzes eine Art von Weihe; auf der hohen Stirn lagerte sich eine dunkle Wolke der Schwermut; das Auge starrte träumerisch vor sich hin, ohne daß der Wille den Blick bestimmte; denn die ernsten, schweren Gedanken, die in seiner Brust auf- und niederwogten, waren fern von der Außenwelt.
    Ludwig fühlte sich wunderbar ergriffen; er wagte es nicht, die tiefe Stille zu unterbrechen. Auch die beiden jüngern Begleiter des Fremden schwiegen und hingen mit wehmütigen Blicken an seinem Angesicht. »Wir sind Polen, mein Herr«, sprach dieser nach einer Pause mit männlich gefaßtem Tone. »Wir erwarten von dem bevorstehenden Kampfe ein Vaterland, während wir jetzt heimatlos in der Verbannung umherschweifen müssen. Sie begreifen nun wohl, daß ich sagen durfte: wir hoffen den Krieg!«
    Ludwig war so überrascht, daß er nicht gleich etwas zu erwidern wußte; allein der Fremde überhob ihn der Mühe, indem er das mit Wein gefüllte Glas vor seinem Teller ergriff und sprach: »Dem Vaterlande! Diesen Toast muß jeder Wackere mittrinken, er sei welches Volkes er wolle.« Ludwig stieß an; auch die übrigen näherten die Gläser zu dem feierlichen Toast, der unter den obwaltenden Verhältnissen der Zeit in jedem einen so ernsten Anklang finden mußte.
    Es war, als hätte der Fremde mit dem Glase Wein seine düstere Stimmung wie durch ein Zaubermittel verbannt. »Wir sind Reisende,« begann er, »die zu einer ungewöhnlichen Zeit auf einer ungewöhnlichen Stelle zusammentreffen, Von den Gebirgen des Gotthard, auf denen wir uns befinden, sprudeln die Quellen nach allen vier Gegenden der Welt und gießen ihre Ströme nach Deutschland, Frankreich und Italien aus. Dagegen führen die Straßen dieser Länder auf diesem Punkte zusammen und verschlingen sich in einem begrüßenden Knoten. Man trifft sich hier gewissermaßen an einem Kreuzwege der Welt. Morgen folgt der dem Rhein oder der Reuß, jener dem Tessino, der dritte der Rhone. Den Augenblick des Beisammenseins soll man genießen, ihn als eine frohe und teuere Erinnerung bewahren; denn wer weiß, ob man sich je noch auf den Straßen dieser Erde wieder begegnet? Wir drei,« fuhr er gegen Ludwig gewendet fort, »kennen uns, sind Landsleute, Kriegskameraden. Sie

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